Reportage

Wie Wien einen alten Baum auf die Reise schickte

Ein Baum unterwegs auf der Zweierlinie - die Platane vor dem Café Eiles übersiedelte in der Nacht auf Dienstag auf den Schmerlingplatz.
Ein Baum unterwegs auf der Zweierlinie - die Platane vor dem Café Eiles übersiedelte in der Nacht auf Dienstag auf den Schmerlingplatz.APA/HANS PUNZ
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Von der Josefstadt in den ersten Bezirk - eine um die 80 Jahre alte und 20 Meter hohe Platane wurde in der Nacht auf Dienstag mit großem Aufwand übersiedelt, um sie vor dem U-Bahn-Bau in Sicherheit zu bringen.

"Bitte weitergehen!" Der Sicherheitsmann mit gelber Warnweste und Helm drängt die kleine Gruppe von Menschen weiter zurück. Was gar nicht so einfach ist, denn sie alle haben ihre Kameras auf den Tieflader gerichtet, der in Schrittgeschwindigkeit die Auerspergstraße entlangrollt. Und auf seiner Ladefläche steht ein Baum - die Platane, die Jahrzehnte lang auf der kleinen Fläche vor dem Café Eiles gestanden ist. Genau hier soll in einigen Jahren ein Abgang zur neuen U2-Station Rathaus nach unten gehen. Der Baum musste weg - also kommt er jetzt weg.

Wäre es nach Günter Steinbauer gegangen, wäre es in der Nacht auf Dienstag nicht zu der spektakulären Reise des etwa 80 Jahre alten Baumes gekommen. "Man muss sich Kosten und Nutzen anschauen", sagt der Geschäftsführer der Wiener Linien. Und die Kosten wären hoch gewesen - für rund 500.000 Euro war die Verpflanzung zunächst ausgeschrieben gewesen, aber dann wieder verworfen worden. Zu teuer, hieß es.

"Wenn man das aus symbolischen Gründen machen will..."

Doch dann machten sich Naturschützer für die Erhaltung des Baumes stark. Und bauten mit einer Mischung aus Umweltschutz und Nostalgie so viel Druck auf, dass die Stadt Wien nachgeben musste. Also muss Steinbauer nun kurz vor Mitternacht mit tief über die Ohren gezogener Eisbär-Mütze für die Fotografen vor der Platane posieren. Und meint: "Wenn man das aus symbolischen Gründen machen will, na dann..."

In Pose wirft sich auch - wie immer ein wenig nach vorne gelehnt - Peter Hanke. Wiens Finanzstadtrat hebt, wie es die Inszenierung für die Pressefotografen verlangt, den Daumen nach oben. Ein alter Baum, mit dem Viele schöne Erinnerungen verbinden, wird gerettet. Geschichten wie diese verkaufen sich medial immer gut. Und der für das Geld zuständige Stadtrat kann dabei auch noch verkünden, dass all das fast nichts kostet.

Posen für die Fotografen: Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke, der Josefstädter Bezirksvorsteher Martin Fabisch und Wiener-Linien-Geschäftsführer Günter Steinbauer. (v.l.)
Posen für die Fotografen: Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke, der Josefstädter Bezirksvorsteher Martin Fabisch und Wiener-Linien-Geschäftsführer Günter Steinbauer. (v.l.)(c) Erich Kocina

Denn als Deus ex machina konnte man Manfred Saller gewinnen. Einen Baumchirurgen, dessen tägliches Brot es ist, Bäume zu verpflanzen und zu übersiedeln. Und der macht all das, wofür ursprünglich eine halbe Million Euro budgetiert worden war, mehr oder weniger gratis. Zwei Wochen lang waren zehn bis 15 Menschen mit den Arbeiten beschäftigt. In zwei Schichten, sieben Tage die Woche von 6 bis 22 Uhr. Geld verlangt er keines dafür. Um wieviel Geld es da geht? "Ein paar Hunderttausend", meint er.

Aber warum tut er sich das an? Aus Idealismus, meint er. Weil er den symbolisch so wichtigen Baum retten will. Darüber spricht er auch gerne, macht aktive Medienarbeit für das Projekt. Für den Werbeeffekt? "Darum geht es nicht", meint er. Immerhin sei sein Unternehmen ohnehin international bekannt. Aber all die Ausgaben? Naja, meint er, da werde er eben einiges von der Steuer absetzen können. Als Werbeausgaben, quasi.

Ein altes Fundament als Hindernis

Das Projekt selbst ist aber auch für sein Unternehmen ein recht komplexes. "Von der Größe her haben wir schon solche Bäume verpflanzt, etwa in den USA." Der Unterschied sei, dass man sonst meist auf der grünen Wiese oder in Parks arbeite - mit Erde als Untergrund und viel Platz. Hier hingegen sei man beim Graben sogar auf ein altes Fundament gestoßen. Das mache alles viel komplizierter und aufwendiger.

Erst als die Pressefotos mit dem Stadtrat erledigt sind, beginnt dann der spektakulärste Teil der Arbeit. Die Platane, die bereits an einem Kran hängt, wird langsam nach oben gezogen. Noch ein paar Fotos mit dem Stadtrat, dem Baumchirurgen und dem Wiener-Linien-Geschäftsführer - dann wird der Baum auf den Tieflader gehievt. Mitsamt Wurzeln und Untergrund - zumindest mit einem Teil davon.

Und plötzlich schwebt der Baum über dem Tieflader.
Und plötzlich schwebt der Baum über dem Tieflader.(c) Erich Kocina

Denn der Weg, den die Platane zu ihrem neuen Standort am Schmerlingplatz, knappe 500 Meter entfernt, zurücklegen muss, liegt auf der Auerspergstraße - direkt über der Linie U2. Und weil ihr Tunnel nur recht knapp unter der Erde liegt, darf auf der Straße darüber nicht zu viel Gewicht unterwegs sein. Also musste der Wurzelballen so klein wie möglich gemacht werden, damit Tieflader und Baum gemeinsam nicht schwerer als 60 Tonnen sind.

Nun rollt der Lastwagen also langsam die Zweierlinie entlang. Im Stehen. Mit Seilen am Wagen gesichert. Und sehr langsam, damit er ja nicht ins Wackeln kommt. Damit es auch noch richtig kitschig wird, beginnt es zu schneien. Und als sich der Wagen in Bewegung setzt, zückt dann sogar der Stadtrat sein Handy, um ein Foto zu machen.

Im ersten Bezirk Wurzeln schlagen

Als der Transporter nach einigen hundert Metern beim Schmerlingplatz ankommt, ist es etwa zwei Uhr früh. Im Park ist bereits ein tiefes Loch ausgehoben, in das der Baum gesetzt werden soll. Nach seinen Jahrzehnten in der Josefstadt soll er nun im ersten Bezirk Wurzeln schlagen. Ob das auch klappen wird? Immerhin hat der Baum doch schon ein gewisses Alter. Manfred Saller zeigt sich optimistisch: "Ob er es schafft, werden wir gleich im Frühjahr sehen", meint er. "Dann, wenn er austreibt."

Die neue Heimat für die alte Platane.
Die neue Heimat für die alte Platane.(c) Erich Kocina

Für Wiener-Linien-Geschäftsführer Steinbauer ist das Kapitel Baum damit beendet. Ja, rund 30.000 bis 50.000 Euro musste man investieren - die Kosten für die Spezialkräne und Tieflader übernahmen die Wiener Linien. Das Geld dafür kommt aus dem Budget für den U-Bahn-Bau. Und der kann nun wie geplant weitergehen. Aber dann, meint Steinbauer, entsteht hier die eigentlich viel interessantere Baustelle...

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