Alle wollen ein Stück vom Kuchen: Britney Spears’ Leben war jahrelang Gegenstand der Berichterstattung.
Britney Spears & Co.

Die mediale Sezierung der Frau

Gerade junge Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind enormem Druck ausgesetzt. Dass die Maßstäbe aber schief sind, zeigen die aktuellen Debatten über Britney Spears und das verstorbene deutsche Model Kasia L. Warum werden Frauen öffentlich gemobbt? Und wie übersetzt sich das auf soziale Medien?

„We are sorry, Britney.“ 20 Jahre ist es her, da stand die US-amerikanische Popsängerin auf dem Gipfel ihrer Karriere. Ihre Lieder wurden Instant-Hits, sie trat in Arenen auf, der Pepsi-Konzern zahlte ihr Millionen von Dollar für Bilder, auf denen sie an einer Coladose nippte.

Die ganze Welt kannte die junge Frau, die 1981 im Bundesstaat Mississippi geboren worden war und quasi ab dem Zeitpunkt gesungen hatte: im Kindergarten, im Kirchenchor, kurz danach schon am New Yorker Broadway, dann vor der Kamera. Mit Christina Aguilera, Justin Timberlake, Ryan Gosling führte sie durch die Kinderserie „Mickey Mouse Club“, da war sie ein Teenager. Sie war 16, als sie ihr erstes Album aufnahm.

Und ab da konnte niemand mehr genug von Britney Spears bekommen. Nicht genug von ihrer Musik, von ihren Auftritten, von der Figur, die sie darstellte: jung und süß, unschuldig und sexy gleichermaßen. Spears und alle um sie herum machten gutes Geld damit. Und jeder wollte ein Stück vom Kuchen. Die Fans auch, die TV-Sender und die Klatschmagazine ebenso.

Bewusstsein kommt auf. 20 Jahre später also. Die Leute, sie würden das Stück vom Kuchen gerade lieber zurückgeben: „We are sorry, Britney“, schreiben sie ins Netz. Darunter sind auch solche, die sich öffentlich über Spears lustig gemacht hatten, als sie vor den Linsen der stets auf sie gerichteten Kamera nicht mehr konnte, Comedians, Journalisten. Darunter ist Justin Timberlake, ihr Ex-Freund, der aus der Trennung von Spears ein Medienspektakel gemacht hatte. Er sprach öffentlich über das Sexleben des Paares; in einem Liedtext implizierte er, Spears hätte ihn betrogen. Die Medien griffen die Story damals auf. „Was hast du getan?“, fragte die Journalistin Diane Sawyer Spears vor laufender Kamera. Spears war damals 21 Jahre alt und in Tränen aufgelöst. Timberlake hat sich nun, 2021, für sein Handeln entschuldigt. Auf Instagram.

Was hat es für dieses „Sorry“ gebraucht? Einen Dokumentarfilm der „New York Times“, der bei seiner Ausstrahlung vor wenigen Tagen aufzeigte, wie unbarmherzig, wie ruchlos die Öffentlichkeit die junge Frau in die Mangel genommen hatte. Die Debatte, die daraufhin in den USA ausbrach, zeigt einerseits, wie viel aufmerksamer, wacher Menschen heute mit sexualisierter und sexistischer Berichterstattung umgehen – was wohl auch den Jahren der Auseinandersetzung mit der #MeToo-Bewegung geschuldet ist.

Auch vergangene Fälle, wie etwa jener Monica Lewinskys, werden in diesem Licht neu gewertet. Lewinsky, die in den 1990er-Jahren mit dem damaligen US-Präsidenten, Bill Clinton, eine Affäre hatte – die zu einem recht öffentlichen Ende inklusive Amtsenthebungsverfahren fand –, wurde damals öffentlich als „Ehe-Zerstörerin“ beschimpft. Heute sagt Lewinsky selbst, sie sei „Patient null“ des Cybermobbings gewesen, die Erste, die am Onlinepranger stand. Und viele geben ihr recht.

Andererseits beweist die Debatte, wie gern man Dinge unter den Teppich kehrt, an denen man vielleicht eine Teilschuld trägt. Frauen, ihre Arbeit, ihre Körper, ihre Privatleben, das alles wird immer noch vermischt und aufgekocht. Um zum Beispiel Magazine zu verkaufen, und heute vor allem, um Klicks zu generieren.

Schlammschlacht auf dem Boulevard. Beinah zeitgleich zur öffentlichen Abbitte in den USA passierte etwas Ähnliches in Deutschland. Das Model Kasia L. beging dort im Februar mutmaßlich Suizid. Die Gründe kennt man nicht.

Was man weiß, ist, dass der 25-Jährigen in den Wochen vor ihrem Tod intensive Aufmerksamkeit der Boulevardpresse zuteil geworden war und dass auf ihren Social-Media-Kanälen hundertfach hasserfüllte Kommentare abgegeben worden waren. Zuvor hatte ihr Ex-Freund, der Fußballer Jérôme Boateng, der „Bild“-Zeitung ein Interview gegeben, in dem er schwere Vorwürfe gegen L. erhob. „Trennungs-Schlammschlacht!“, titelte die Zeitung bei einem Text zu dem Thema, private Nachrichten L.s wurden veröffentlicht. Sie ist dabei „die Boateng-Ex“, ihr Körper, ihre Tattoos, all das wird öffentlich diskutiert, auseinandergenommen, und was im Print keinen Platz hat, übernehmen die Kommentatoren auf Social Media. Dann ist L. tot – und eine Freundin schreibt auf Instagram: „Mobbing tötet.“ Sie zieht einen Vergleich mit einer Person, die so lang mit Schlamm beworfen wird, bis sie untergeht.

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