Italien hat seine Filmzensur abgeschafft – nach über 100 Jahren. Im Grunde ein reiner Formalakt, doch die Beständigkeit des Gesetzes erinnert an den hartnäckigen Einfluss der Moralpolizei auf das europäische Kino.
Filme werden aus dem Verkehr gezogen, Kopien vernichtet. Regisseure müssen sich vor der Justiz verantworten. Schauspieler werden der „Unzucht“ bezichtigt und mit Bewährungsstrafen bedacht. Der „Spiegel“ zeigt sich alarmiert: „Innerhalb von zwei Tagen wurden drei Lichtspiele beschlagnahmt!“ Geht es um eine Kampagne gegen die Freiheit der Kunst, orchestriert von einem totalitären Regime? Mitnichten: Schauplatz der im „Spiegel“-Text skizzierten „Zensur-Welle“ ist das demokratische Italien der 1970er.
In puncto Film denkt man beim bösen Z-Wort heute eher an die üblichen Verdächtigen: Länder wie China, Russland, Indien und den Iran, in denen staatliche Kulturbeschneidungen mehr oder weniger stark institutionalisiert sind. Doch kürzlich erinnerte eine kuriose Meldung daran, dass behördliche Filmverhinderung vor nicht allzu langer Zeit auch im Westen zur Debatte stand: Das kunstbezogene „Kontroll- und Interventionssystem“ des italienischen Staats, verkündete Kulturminister Dario Franceschini am 5. April, sei nun „endgültig“ Geschichte.
Es handelt sich vornehmlich um einen symbolischen Akt. Der letzte Fall, bei dem der Regulierungsapparat zum Einsatz kam, ist über 20 Jahre her. Ganz so antiquiert, wie er anmutet, ist er allerdings nicht. Sein formelles Fortbestehen zeugt von der Hartnäckigkeit der Filmzensur auch in Euro-Gefilden. Italien ist hier ein Musterbeispiel. Pier Paolo Pasolini, der sich im Zuge seiner Laufbahn immer wieder mit Sittenklagen herumschlug, meinte einmal: „Ich stehe vor Gericht, weil das italienische Strafgesetz nach dem Krieg nicht geändert wurde und noch immer das faschistische ist.“ Im Detail ist das eine Zuspitzung, verweist aber auf heikle Kontinuitäten.