Der Konjunkturjubel kommt zu früh

Konjunkturjubel kommt frueh
Konjunkturjubel kommt frueh(c) Clemens Fabry
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Wer glaubt, die Wirtschaftskrise sei vorbei, könnte eine böse Überraschung erleben. Wie es 2011 weitergeht, wissen vielleicht die Götter, aber noch nicht die Prognostiker.

Wer beim Fahren hauptsächlich in den Rückspiegel und nur ab und zu nach vorne blickt, wird nicht allzu weit unfallfrei kommen. Es ist also ziemlich gefährlich, was unsere Wirtschaftspolitiker derzeit machen: Die Wirtschaft, wird uns seit Tagen eingehämmert, brummt, die Steuereinnahmen sprudeln „unerwartet“ stark, deshalb könnten Steuererhöhungen weniger kräftig ausfallen.

Das ist alles richtig. Man sieht es, erraten, im Rückspiegel. Im ersten und besonders im zweiten Quartal dieses Jahres ist die heimische Wirtschaft deutlich stärker gewachsen als erwartet, wie wir seit dem Sommer wissen.

So etwas führt automatisch zu höheren Steuereinnahmen. Dass der Finanzminister im ersten Halbjahr mehr als veranschlagt eingenommen hat, ist jetzt also wohl nur für Naivlinge „überraschend“ gekommen.

Naiv ist es auch – wie das jetzt geschieht – diese Einnahmen auf das Jahr hochzurechnen und bereits über die Verteilung dieser solcherart ermittelten zusätzlichen 1,7 Mrd. Euro zu streiten. Ein Blick nach vorne, durch die Windschutzscheibe, zeigt nämlich, dass sich das Wetter da gerade erheblich verschlechtert, was eine sehr schnelle Tempodrosselung nach sich ziehen wird.

Die Zeichen sind eindeutig:

• Der deutsche Einkaufsmanagerindex, ein ziemlich zuverlässiges Konjunkturbarometer, ist in dieser Woche so stark gefallen wie seit Anfang 2008 nicht mehr.

• Das deutsche Markit-Institut prophezeite gestern, dass das Wachstum in der Eurozone insgesamt auf 0,3 Prozent im letzten Quartal fallen wird – also auf nicht einmal ein Drittel des im zweiten Quartal erzielten Wertes.

• Die US-Notenbank Fed hat wegen der miesen Konjunkturlage Zinsanhebungen soeben bis weit ins nächste Jahr verschoben und ein riesiges Ankurbelungsprogramm für den Fall einer neuerlichen Rezession angekündigt.

• Und der Chef des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts, Karl Aiginger, hat zuletzt mehrmals angeregt, ein weiteres Programm zur Konjunkturankurbelung zu überlegen. Das ergäbe keinen Sinn, wenn die Wirtschaft tatsächlich so toll laufen würde.

Prognose wird etwas besser

Die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS heben heute ihre Konjunkturprognosen an. Aber auch das basiert im Wesentlichen auf den Blick in den Rückspiegel: Dass das BIP heuer etwas schneller als bisher prognostiziert wächst, hat in erster Linie mit dem starken BIP-Anstieg im Frühjahr zu tun. Im letzten Quartal wird es aber auch in Österreich eine erhebliche Wachstumsabschwächung geben.

Und wie es 2011 weitergeht, wissen vielleicht die Götter, aber noch nicht die Prognostiker. Denn die Wirtschaft Europas und der USA läuft noch nicht von selbst.

Um beim Auto-Beispiel zu bleiben: Die vor zwei Jahren „abgewürgte“ Karre wird derzeit mit allen Kräften angeschoben, der Motor ist aber noch nicht angesprungen. So lange er das nicht tut, besteht – auch wenn es derzeit noch nicht danach aussieht – ein erhebliches Risiko für einen neuerlichen Rückfall in die Rezession.

In dieser Lage ist vielleicht ein bisschen voreilig, „überschüssige“ Steuereinnahmen für neue Füllhornausgaben zweckwidmen zu wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2010)

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