Corona-Maßnahmen

Italien lockert den Lockdown, legt Plan für EU-Gelder vor - und streitet

APA/AFP/MIGUEL MEDINA
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In vielen Regionen öffnen Museen, Theater und Restaurants. Die Lega protestiert gegen die nächtliche Ausgangssperre. Und die Regierung verabschiedet den Plan für die Ausgaben von EU-Hilfsgeldern.

In Italien ist seit heute wieder etwas Normalität eingetreten. Die meisten Kinder gehen wieder in die Schule, Restaurants und Bars servieren in vielen Regionen wieder im Außenbereich. Auch kann man wieder von einer Region in die andere reisen, vorausgesetzt das Infektionsniveau lässt dies zu. Denn erstmals seit Wochen wurde die auf lokaler Ebene geltende Corona-Ampel  umgeschaltet. Nur wenige Regionen (darunter Sardinien) sind noch „rot“.Dort gelten noch strikte Lockdowns.

Sogar in Museen kann man in den „gelben" oder „weißen" Reginen wieder, wenn man sich vorher online annmeldet. Und auch die Theater und Opernhäusern starten erste Öffnungsversuche. So will Venedigs Oper La Fenice wieder Zuschauer einlassen, und die Uffizien in Florenz wollen schrittweise, beginnend mit dem Boboli-Garten,fnen. Ab Dienstag sollen Besucher auch wieder den Archäologiepark der in der Antike bei einem Vulkanausbruch zerstörten Stadt Pompeji besuchen können.

Einen entsprechenden „Öffnungsfahrplan“ hat die Regierung vergangene Woche präsentiert. Teil des Plans ist auch ein „grüner Pass“, in denen unter anderem Impfungen eingetragen werden. Dieser soll zusätzliche Mobilität und „Freiheiten“ ermöglichen. Starten soll der Pass im Juni. 

Salvini startet Unterschriftensammlung

Doch überschattet werden die Öffnungen von einem Streit in der italienischen Regierungskoalition: Der Chef von Italiens rechter Regierungspartei Lega, Matteo Salvini, startet eine Unterschriftensammlung gegen den Beschluss der Regierung, die nächtliche Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr bis zum 31. Juli zu verlängern. "Nein zum Ausgangsverbot", lautet der Slogan der Kampagne Salvinis, mit der er sich gegen die Koalitionspartner stellt.

"Wir freie Bürger Italiens fordern die Abschaffung der sinnlosen Ausgangssperre und den Neustart aller Betriebe in den Regionen, in denen die Epidemie unter Kontrolle ist", lautet die Forderung Salvinis. Tausende Menschen unterzeichneten die Petition der Lega auf der Webseite der Partei.

Der Regierungsbeschluss, die nächtliche Ausgangssperre zu verlängern, erschwere den Neustart der Kultur, der Gastronomie und des Tourismus, argumentierte Salvini. Viele abendliche Events könnten wegen des Ausgangsverbots nicht veranstaltet werden, kritisierte der Lega-Chef. In den bevorstehenden Sommermonaten wäre es eine Qual, die Italiener zum Ausgangsverbot ab 22.00 Uhr zu zwingen.

Salvinis Kampagne wird von der Oppositionspartei Fratelli d Italia (FdI) unterstützt. Die Gruppierung meint, die Verlängerung der nächtlichen Ausgangssperre sei angesichts der sinkenden Infektionszahlen wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. "Das Ausgangsverbot ist eine Verletzung der wesentlichen individuellen Rechte der Italiener und hat keinerlei Grundlage, weiterhin in Kraft zu bleiben", betonte die FdI-Abgeordnete Augusta Montaruli. Am Dienstag stimmt die Abgeordnetenkammer in Rom über einen Antrag der Rechtspartei zur Abschaffung des Ausgangsverbot ab.

Mit seiner Kampagne gegen die Ausgangssperre zog sich Salvini viel Kritik zu. "Salvini startet eine Kampagne gegen eine Maßnahmen, die von der Regierung beschlossen wurde, an der er sich selber beteiligt. Wenn er nicht die Regierung unterstützt, soll er aus der Koalition austreten", sagte Sozialdemokratenchef Enrico Letta.

Auch die Gastronomie rebelliert

Gesundheitsminister Roberto Speranza versuchte die Wogen zu glätten. Das Ausgangsverbot könnte in den nächsten Wochen überdacht werden, sollte es die epidemiologische Lage im Land erlauben. "Ein Großteil Italiens ist jetzt gelbe Zone. Wir wollen einen Schritt nach dem anderen machen. Die Ausgangssperre reduziert die Mobilität. Sollte es die Infektionslage ermöglichen bin ich gern bereit, Ausgangsverbot und andere Maßnahmen zu überdenken", meinte Speranza.

Die Überprüfung der Ausgangssperre wird Mitte Mai erfolgen, sagte der Präsident des Obersten Gesundheitsinstituts CTS, Franco Locatelli. Diese Zeit sei notwendig, um zu prüfen, ob sich die von der Regierung beschlossenen Lockerungen ab dieser Woche nicht negativ auf die Infektionszahlen auswirken.

Inzwischen rebelliert die Gastronomie-Bewegung "IoApro" (Ich öffne) gegen die Regierungsverordnung, die vorsieht, dass Restaurantinhaber Kunden lediglich im Außenbereich bewirten können. Die Bewegung rief ihre rund 110.000 Anhänger auf, ab heute mit "Aktionen des zivilen Ungehorsams" gegen die neuen Anti-Covid-Restriktionen zu protestieren. So wollen sie Kunden auch im Innenbereich empfangen. Der Verband fordert eine Abschaffung der Ausgangssperre, die die Gastronomie stark beeinträchtige.

Mit einer neuen Corona-Verordnung führt Rom ab heute (Montag) wieder Weiße und Gelbe Zonen für Regionen mit niedrigen oder moderaten Corona-Werten ein. Theater, Kinos und Konzerthallen dürfen dort mit begrenzter Besucherzahl loslegen und Schwimmbäder am 15. Mai in Gelben Zonen öffnen.

Recovery Plan soll vorgelegt werden

Ein weiterer Schritt in Richtung Neuanfang soll Ende der Woche gesetzt werden: Dann will Italien in Brüssel seinen Plan vorlegen, wie es die Milliarden aus Wiederauffonds investieren will: talien erhält mit 191,3 Milliarden Euro von allen EU-Ländern am meisten Geld aus dem Fonds, 68,9 Milliarden davon sind Zuschüsse. Dazu bekommt Italien 27,4 Milliarden Euro an Arbeitsmarkthilfen. 

Am Wochenende hatte der Ministerrat den Plan abgesegnet, heute und morgen ist das Parlament dran.

Digitalisierung, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Kultur sollen mit 42,5 Milliarden Euro ausgestattet werden. Der sogenannte "Grünen Revolution" und dem ökologischen Wandel will die Regierung 57 Milliarden Euro zufließen lassen, wie aus einem für den Ministerrat vorbereiteten Entwurf zum "Recovery Plan" hervorgeht.

6,13 Milliarden sollen in die Bereiche Digitales und Mobilität fließen - von Breitband und 5G mit 1,4 Milliarden, bis hin zu einem Fernüberwachungssystem von Brücken, Tunnels und Viadukten. Für Infrastruktur zur nachhaltigen Mobilität wird das Kabinett 25,3 Milliarden Euro zugestehen. Damit soll unter anderem das Bahnnetz modernisiert werden, wovon auch die Bahnstrecke Brenner-Verona profitieren soll. Der Bereich Bildung und Forschung soll mit 31,9 Milliarden Euro, soziale Inklusion mit 19,1 Milliarden Euro und das Gesundheitswesen soll mit 15,6 Milliarden Euro finanziert werden.

Strukturreformen vorgesehen

Der "Recovery Plan" soll das italienische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um drei Prozentpunkte steigen lassen. Das durchschnittliche BIP-Wachstum zwischen 2022 und 2026 werde wegen des Aufbauplans um 1,4 Punkte höher sein als im Zeitraum 2015 bis 2019. Die Produktivität der italienischen Wirtschaft soll durch Innovation, Digitalisierung und Investitionen in Humankapital steigen.

Entsprechend den Zielen des "Recovery Plans" sollen auch zwei Strukturreformen der Justiz und der öffentlichen Verwaltung durchgeführt werden. Die Regierung denkt weiters an spezifische Reformen wie neue Regeln für die Produktion von erneuerbarer Energie.

Für die Umsetzung des Plans innerhalb des vereinbarten Zeitrahmens sind Ministerien und lokale Behörden unter Aufsicht des Wirtschaftsministeriums verantwortlich. Dieses wird ständig mit der EU-Kommission in Verbindung stehen. Vorgesehen sind drei zentral geführte Gremien, an denen die Minister aller maßgeblichen Ressorts beteiligt sind: Sie koordinieren die Investitionen, prüfen deren Ausführung durch Regionen und Gemeinden und kontrollieren den Geldstrom.

Über die Verwendung der Mittel wurde seit Monaten gestritten. Die Uneinigkeit darüber war auch Grund für den Zerfall der Vorgängerregierung unter Premier Giuseppe Conte. Seit Mitte Februar ist Draghis Konzentrationsregierung im Amt. Sie wird von einem überwiegenden Teil der Parlamentsparteien unterstützt. Den Investitionsplan auf den Weg zu bringen, ist eine große Herausforderung von Draghis Mandat.

(red/ APA)

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