Anspielung auf die Chats im Ibiza-Untersuchungsausschuss
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Mitreden bei den Chats: Was ist im öffentlichen Interesse, was privat?

Chat-Protokolle führten zum Rücktritt von Öbag-Chef Thomas Schmid und Ex-Justizminister Brandstetter - aber auch zu heftigen Debatten über rote Linien - in der Politik, in der Justiz und beim Thema Privatsphäre. Diskutieren Sie mit!

Jetzt ging es also doch schneller: Thomas Schmid verlässt den Öbag-Chefposten mit sofortiger Wirkung. Der Druck auf ihn wurde größer, als neue Chat-Nachrichten zwischen ihm und seiner Assistentin auftauchten. Er beschwerte sich darin unter anderem über den Betriebsrat und ohne Diplomatenpass "wie der Pöbel" reisen zu müssen. Auch Höchstrichter und Ex-ÖVP-Justizminister und Wolfgang Brandstetter zieht sich sofort zurück. Auch er war durch Chats gehörig unter Druck geraten. Er tauschte sich mit dem Spitzenbeamten im Justizministerium, Christian Pilnacek, aus. Dieser wurde vorläufig suspendiert und kämpft dagegen an.

Brandstetter sagt: "Es tut dem Land nicht gut, wenn öffentlich mit Gift und Galle Menschen in öffentlichen Funktionen angegriffen und angepatzt werden. Ein privates Gespräch unter Freunden und öffentliche Äußerungen sind gänzlich verschiedene Dinge."

„Presse"-Querschreiberin Andrea Schurian fühlt sich gar an DDR- und Stasi-Methoden erinnert. Sie zitiert den deutschen Schriftsteller Joachim Lottmann, der in Wien lebt: „Das Aus-dem-Ruder-Laufen der Institutionen und der Medien, der Verlust der Balance zwischen der Justiz und den übrigen Säulen der Demokratie, lässt Österreich allmählich zu einer, wenn nicht Bananen-, so doch Operettenrepublik werden“. Freilich sei es unanständig, eine Job-Ausschreibung auf sich selbst zuzuschneiden, aber wie das gehe würden auch andere Parteien wissen, so Schurian. Weiter meint sie: „Wer von sich behauptet, privat noch nie eine halblustige oder despektierliche Nachricht versendet zu haben, ist entweder verlogen, bigott oder dement.“ Brisante Zufallsfunde werde es jedenfalls auch bei allen anderen Parteien geben.

„Nicht die Veröffentlichung ist das Problem, sondern was getan worden ist“, schreibt dagegen der Jurist Nikolaus Lehner in einem Gastkommentar. Die ständigen Angriffe auf die Justiz findet er sehr bedenklich: „Ich nehme für mich in Anspruch, die Exzesse der Regierenden gegenüber der Justiz als Gefahr für den Rechtsstaat anzuprangern.“ Und Zufallsfunde seien natürlich bedeutend.

Auch Anneliese Rohrer beschäftigte sich mit den Chats - in einem abwägenden Kommentar über einen „Sommer des Unbehagens“. Wenn Österreich sich nicht mit den zahlreichen heiklen Fragestellungen beschäftige, die die Causa mit sich bringe, drohe eine Vertrauensverlust: „In die Justiz, in die Medien und in die Politik.“ Sie stellt die Frage, wer darüber entscheide, was veröffentlicht werden solle, was denn im „öffentlichen Interesse“ sei: „Staatsanwälte? Journalisten? Die Regierung, weil es in ihrem Interesse ist? Die Opposition, weil in ihrem?" Es brauche dringend jemanden mit kühlem Kopf, der eine solche Grundsatzdiskussion nicht nur anstößt, sondern mit Entscheidungen auch zu Ende führt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen könnte darüber nachdenken."

Dieser hat zumindest schon über die Ermittlungen gegen den Bundeskanzler nachgedacht. Sebastian Kurz (ÖVP) wird unter Verweis auf die Nachrichten rund um die Bestellung von Schmid vorgeworfen, im U-Ausschuss falsch ausgesagt zu haben. Die Ermittlungen laufen, eine Anklage steht im Raum, genauso Rücktrittaufforderungen. Van der Bellen hat klar gestellt, dass auch für Politiker die Unschuldsvermutung gelte und zieht damit eine „rote Linie" bei einer Verurteilung, wie Ulrike Weiser in einem Leitartikel schreibt. Und weiter: „Rücktritt bei Verurteilung sollte  Konsens sein und insofern verstört es, dass sich die ÖVP nicht dazu durchringen kann. Liegt es daran, dass es einfach keinen Plan B zu Sebastian Kurz gibt?"

Diskutieren Sie mit: Wo ziehen Sie die „roten Linien"? Was ist im öffentlichen Interesse? Wie viel Recht auf Privatsphäre haben Politiker? Und: Wie ist es um Ihr Vertrauen in die Institutionen und die Demokratie in Österreich bestellt?

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