Führt Erdbebengefahr im AKW Paks zu EU-Verfahren?

Paks nuclear power station, Hungary
Paks nuclear power station, Hungary(c) Martin Fejer/EST&OST (Martin Fejer/EST&OST)
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Die EU-Kommission schließt die Einleitung eines weiteren Vertragsverletzungsverfahrens gegen Ungarn nicht aus. Auslöser: Die Sicherheit des Atomkraftwerks in Paks an der Donau.

An klaren Worten mangelt es nicht: „Paleo-seismische Daten bestätigen, dass es Erdbebenzonen gibt, die zu permanenten Verschiebungen an der Oberfläche führen können“, stellt Kurt Decker fest, Wissenschaftler am Institut für Geologie der Universität Wien. Er hat zum ungarischen AKW, südlich von Budapest, eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) erstellt, die das Risiko von Erdbeben abschätzt.

Die Bruchzone wurde durch neue Methoden festgestellt, konkret durch Grabungen, im Zuge derer anhand der Schichtungen im Boden sehr genau auf die seismische Aktivität der Vergangenheit geschlossen werden kann. Das Ergebnis: Das Kraftwerksgelände liegt genau auf der Dunaszentgyörgy-Harta-Verwerfungszone. Die Grabungen haben ungarische Wissenschaftler durchgeführt.

Sicherheitsbericht mit Lücken

Im „Sicherheitsbericht“, den die Betreiber des Atomkraftwerks eingereicht haben, ist davon keine Rede: „Seismische Ereignisse sind nicht in der Lage, die Oberfläche signifikant zu schädigen.“ Dieser Bericht wurde verfasst, um die Genehmigung für den Ausbau des Atomkraftwerks südlich von Budapest zu beantragen. Hier sollen zu den vier bestehenden Reaktoren (Paks I) zwei weitere (Paks II) errichtet werden. Den Bau soll von der russischen „Rosatom“ durchgeführt werden, ein baugleicher Typ des AES-2006-Reaktors wird in Finnland derzeit von der „Rosatom“-Tochter „Rusatom“ in Hanhikivi errichtet.

Das Weglassen der Erkenntnisse über die Erdbebengefahr in Paks II beurteilt Studienautor Decker mit deutlichen Worten: „Eine derartige Aussage widerspricht den Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis.“ Decker ist Mitglied einer Delegation, die in dieser Woche auf Initiative von Thomas Waitz, EU-Abgeordneten der Grünen, zu einem Lokalaugenschein nach Paks und Budapest gefahren ist. Auslöser dafür war die Antwort der EU-Kommission auf eine im EU-Parlament eingebrachte Frage, in der die Erdbebengefahr thematisiert wurde.

In der Beantwortung heißt es zwar, dass „die Kommission nicht ermächtigt ist“, die Richtigkeit von Einreichunterlagen (wie etwa den Sicherheitsbericht) zu prüfen, und auch kein Mandat bestehe, um im Fall von Entscheidungen der ungarischen Atomaufsicht zu intervenieren. Nichtsdestotrotz verfolge die Kommission die Debatte um Paks „closely“, wie es heißt, und überwacht die Einhaltung der Richtlinie über nukleare Sicherheit.

Kein EU-Sicherheitsstandard für AKW

Wichtig ist dabei allerdings zu erwähnen, dass die angeführte Richtlinie keinerlei sicherheitstechnischen Mindeststandards, die EU-weit Geltung haben, definiert. Der Rahmen für die Sicherheitsstandards wird ausschließlich national gesetzt, EU-weite Regeln gibt es dafür nicht. Die EU-Richtlinie schreibt lediglich vor, dass eine unabhängige Genehmigungsbehörde einzurichten ist und die Verantwortung für die Sicherheit beim Betreiber von Atomkraftwerken liegt.

Außerdem sichte die EU, so die Anfrage-Beantwortung weiter, derzeit gerade in Bezug auf Paks II Pläne und Daten im Rahmen des Euratom-Vertrags auf mögliche Risiken, ob die Qualität von Wasser, Boden oder Luft in anderen Mitgliedsländern beeinträchtigt werden könnte.

EU-Abgeordneter Waitz: „Die Antwort ist ausführlich ausgefallen und in unüblich deutlichen Worten gehalten. Es ist auch möglich, dass ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wird. Das könnte zum Beispiel dazu führen, dass Förderungen aus EU-Mitteln von der Zentralregierung zum Beispiel an Gemeinden umgeleitet wird.“

„Zurück an den Start"

Wie es in Paks weitergeht, bleibt vorerst unklar. Denn die geologische Untersuchung stellt nicht nur die Erweiterung des Kraftwerks in Frage, sondern auch den Betrieb der vier bestehenden Reaktoren. Weder die ungarische Aufsichtsbehörde noch der Kraftwerksbetreiber haben bisher eine Stellungnahme zu der Studie abgegeben.

Das Auftreten einer dauerhaften Oberflächenverschiebung wäre jedenfalls auch nach ungarischem Recht ein Ausschließungsgrund: Das „Regierungsdekret Nr. 118“ besagt, dass ein Standort für ein AKW dann nicht geeignet ist, wen „nicht ausgeschlossen“ werden könne, dass eine Oberflächenverschiebung auftrete. Die Studie hat zutage befördert, dass eine solche Verschiebung nicht nur „nicht ausgeschlossen“ sei, sondern in der Vergangenheit aufgetreten ist und sich wieder ereignen werde – wiewohl der Zeitpunkt völlig im Ungewissen bleibt.

Martin Litschauer, Anti-Atom-Sprecher im Parlamentsklub der Grünen meint: „Was jedenfalls sofort zu geschehen hat: Die Prüfung der Umweltverträglichkeit muss noch einmal durchgeführt werden. Zurück an den Start.“

Budapest: „Risiken eliminieren"

Mit Argwohn verfolgt das Thema auch der Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony, der im kommenden Jahr gegen Viktor Orban antreten will und Kandidat aller Oppositionsparteien ist. Er empfing die Parlamentarier-Delegation. Benedek Jávor, Leiter der Budapest-Repräsentanz in Brüssel, ist in seiner Antwort ausführlicher: „Budapest kennt diese Studie, wir haben große Bedenken. Wenn auch wir zum Schluss kommen, dass die Erdbebengefahr systematisch unterschätzt worden ist, dann werden wir sämtliche rechtlichen Möglichkeiten prüfen, dagegen vorzugehen. Die Stadtverwaltung von Budapest glaubt an eine Energiezukunft, die von Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz getragen wird. Wenn die seismischen Risiken bei den beiden neuen Atomblöcken und bei den bestehenden vier Reaktoren für die Bürger unserer Stadt unproportional hoch sind, dann werden wir die notwendigen technischen und rechtlichen Schritte setzen, um diese Risiken zu eliminieren.“

>> EU-Richtlinie über nukleare Sicherheit

>> Euratom-Vertrag

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