Deutschland

„Hier dauert alles unendlich lang“

AFP
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Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Verbund-Chef Michael Strugl redeten bei einer Fahrt auf der Spree über Chancen und Risken der Energiewende.

Berlin. Unter wolkenverhangenem Himmel schiebt sich das „Medienschiff“ über die Spree und vorbei am Kanzleramt. Am Ufer überholt ein Läufer. „Grüne Energie!“, witzelt Peter Altmaier, der seit dreieinhalb Jahren CDU-Wirtschaftsminister und an diesem Tag Passagier der Pioneer One ist, der schwimmenden Redaktion von Ex-„Handelsblatt“-Herausgeber Gabor Steingart. Auch Michael Strugl ist zu Gast, der Chef des rot-weiß-roten Stromriesen Verbund, der in Deutschland Nummer zwei bei der Erzeugung von Strom aus Wasserkraft ist. Das Gespräch an Bord kreist, salopp formuliert, um „grüne Energie“ und um den Klimawandel, der gleichfalls Thema im deutschen Wahlkampf ist, der an Land sanft an Fahrt gewinnt.

Auch wegen des (inzwischen gestoppten) grünen Höhenflugs in den Umfragen hat sich die schwarz-rote Regierung hastig zu neuen Vorgaben verpflichtet. Deutschland soll schon 2045, nicht erst 2050, klimaneutral sein. Das Ziel ist klar benannt, der Weg dorthin ist es nicht. Nur so viel: Es wird kein Spaziergang, sondern „sehr, sehr schwer“, sagt Altmaier.

Ein Problem ist der oft nur schleppende Ausbau der Infrastruktur. „Wir sind das Land, in dem alles endlos lang dauert“, räumt Altmaier offenherzig ein. Der Bau von ICE-Strecken verschlinge 30, der von Gleichstromtrassen 18 Jahre. „Aber so viel Zeit haben wir nicht.“ Der Minister sinniert deshalb darüber, Stromleitungen im „nationalen Interesse“ zu definieren, um die zähen Verfahren zu beschleunigen und Energie aus dem windreichen Norden in den Süden zu bringen.

Wasserstoffweltmeister?

Deutschland will bekanntlich auch Wasserstoffland Nummer eins werden. Und aus Sicht von Verbund-Chef Strugl hätte das auch eine gewisse Logik. Die USA seien das Land der großen Digitalkonzerne, China führe bei Solarenergie und Batterien. Aber beim Wasserstoff, da sei „noch ein Platz frei“.

Deutschland hat lang kräftig in den Ausbau der Erneuerbaren investiert. Aber „wir werden erleben, dass wir im Sommer viel zu viel Strom aus erneuerbaren Energien haben und im Winter viel zu wenig“, sagt Altmaier. Wasserstoff soll die Lücke füllen. Als Speichermedium. Das grüne Gas soll aber auch die Stahlindustrie dekarbonisieren. Deutschland schiebt den Prozess mit zwei Mrd. Euro an.

Das „grüne Paradoxon“

Ein Problem: Grüner Stahl ist noch um „30 bis 40 Prozent“ teurer, wie Altmaier ausführt. Wenn Europas irgendwann dekarbonisierte Stahlindustrie im Wettbewerb schlappmacht, weil die Produktion in Länder mit weniger strengen Regeln abwandert, wäre für das Klima nichts gewonnen, im Gegenteil, aber für den Kontinent viel verloren. Das ist Konsens an Bord. Wie genau die Politik dieses „grüne Paradoxon“ auflösen wird, das blieb aber offen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2021)

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