Drei Konkurrenten beanspruchen die Nachfolge des ermordeten Präsidenten Jovenel Moise. Die USA lehnen indes militärische Hilfe für den Karibikstaat ab.
Drei Tage nach dem tödlichen Attentat auf Haitis Präsidenten Jovenel Moise steuert der Karibikstaat auf einen Machtkampf zu. Der noch von Moise zum Ministerpräsidenten bestimmte, aber noch nicht ins Amt eingeschworene Ariel Henry beansprucht die Führungsgewalt für sich und geht damit in die Offensive gegen Interimsministerpräsident Claude Joseph.
Henry sagte der Nachrichtenagentur Reuters am Freitagabend (Ortszeit): "Nach der Ermordung des Präsidenten bin ich zur höchsten, legalen und regulären Autorität geworden, weil ich per Dekret nominiert wurde". Der Neurochirurg war am Montag und damit zwei Tage vor dem Attentat zum Regierungschef ernannt worden. Nach der Tat hatte aber Joseph die Macht übernommen.
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Steckt die Drogenmafia hinter dem Attentat auf Jovenel Moïse?
Joseph ist seit April Interimsministerpräsident und hat den Rückhalt von Wahlminister Mathias Pierre. Joseph werde bis zur Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 26. September im Amt bleiben, betonte Pierre. Doch Josephs Rivale Henry erklärte, er werde eine Regierung bilden, die wiederum ein neues Wahlkomitee auch für die Bestimmung eines Wahltermins einsetzen solle. Wann es zur Abstimmung kommen soll, ist laut Henry noch unklar. "Wir müssen die Wahlen aber so bald wie möglich abhalten", so Henry.
Unterdessen bestimmte Haitis Senat seinen Vorsitzenden Joseph Lambert zum Interimspräsidenten, wie aus einem Reuters vorliegenden Dokument hervorging. Der Senat besteht zurzeit allerdings nur aus zehn statt der sonst 30 Mitglieder. Die haitianische Verfassung bestimmt, dass eigentlich der Vorsitzende des Obersten Gerichts Übergangspräsident werden müsste. Der Gerichtsvorsitzende starb allerdings im Juni nach einer Corona-Infektion. Doch auch die Ernennung des Senatsvorsitzenden könnte wegen Uneinigkeit über die Auslegung der Verfassung noch zu Konflikten führen.
Vorwürfe der Korruption, Massenproteste, Mord
Moise war seit 2017 im Amt und regierte seit mehr als einem Jahr per Erlass, weil die Ausrichtung einer Wahl scheiterte. Die Opposition warf dem 53-Jährigen Korruption vor, es kam zu Massenprotesten. Moise hat die Anschuldigungen stets bestritten und auf eine Verfassungsreform gedrungen, mit der er nach eigenen Angaben für mehr Stabilität sorgen wollte. Seine Gegner sahen darin den Versuch, eine Diktatur zu erreichten. Nach Angaben der haitianischen Behörden wurde Moise von ausländischen Profi-Killern getötet, darunter 26 Kolumbianer.
Haiti ringt seit dem Sturz der Duvalier-Diktatur im Jahr 1986 um Stabilität, wurde aber immer wieder Ziel von Putschisten und auch ausländischen Interventionen. Zuletzt nahm die Gewalt und die Bandenkriminalität weiter zu. Außerdem sind Lebensmittel knapp. Haiti hat in den vergangenen Jahren immer wieder Naturkatastrophen erlebt und sich noch immer nicht von dem schweren Erdbeben im Jahr 2010 erholt.
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„Zu diesem Zeitpunkt“ keine Hilfe von den USA
Die USA haben die Anfrage der haitianischen Regierung auf militärische Unterstützung zum Schutz wichtiger Infrastrukturen wie Flughafen und Häfen, abgelehnt. Die Vereinigten Staaten hätten keine Pläne, Haiti "zu diesem Zeitpunkt" militärische Hilfe zu gewähren, sagte ein hochrangiger Beamter der US-Regierung. In einem Gespräch zwischen dem bisherigen Interimspräsidenten Claude Joseph und US-Außenminister Antony Blinken Mittwoch, hatte Joseph die Anfrage auf Sicherheitsunterstützung gestellt.
Auch der UNO-Sicherheitsrat sei um Hilfe gebeten worden, sagte der Minister für Wahlen, Mathias Pierre. Seit dem Mordanschlag am Mittwoch ist das Land tiefer in eine politische Krise gefallen, die den wachsenden Hunger, die Bandengewalt und den Ausbruch von Covid-19 verschlimmern könnte.
(APA/DPA)