Präsident Saied setzt die Regierung außer Gefecht. Die Islamisten sprechen von einem Putsch. Das Geburtsland des Arabischen Frühlings droht ins Chaos zu stürzen.
Es ist die größte politische Krise, seit das kleine Tunesien vor zehn Jahren aus dem Arabischen Frühling als einziges demokratisches Land hervorgegangen ist. Sollte in dem Nachbarland der EU die Lage völlig kippen, könnte auch Tunesiens demokratischer Weg ein Ende finden – so wie das schon in Libyen und Ägypten der Fall war. Tunesiens Präsident, Kais Saied, hat einen politischen Paukenschlag gesetzt: Er feuerte Premier Hisham Mechichi, dann auch die Minister für Justiz und Verteidigung. Gleichzeitig setzte er die Tätigkeit des Parlaments für zunächst 30 Tage aus und hob die Immunität der Abgeordneten auf. „Der Staatschef übernimmt die exekutive Macht, mithilfe eines Premiers, den der Präsident bestimmen wird“, sagte Saied im TV. Kürzer und eindeutiger lässt sich das Ende der Gewaltenteilung nicht erklären.
Während die Anhänger des Präsidenten mit Hupkonzerten auf den Straßen feierten, machte sich noch in der Nacht der Parlamentssprecher demonstrativ auf den Weg zum Abgeordnetenhaus. Sein kurzer Marsch endete vor verschlossenen Türen: „Mein Name ist Rachid al-Ghannouchi, ich bin der Präsident dieses Parlaments, und mir wird der Zugang verweigert“, sagte er ruhig in die Kamera. Sein Auftritt war eine klare Inszenierung in seinem Ringen gegen den Staatschef. Ghannouchi ist Chef der islamistischen Partei Ennahda, der stärksten Kraft im Parlament. Und er fand sehr deutliche Worte zum Vorgehen des Präsidenten: Ghannouchi sprach von einem Putsch gegen die Revolution und gegen die Verfassung. Danach kam es zu Straßenschlachten in Tunis.