Fall Kampusch: Neue, schwere Vorwürfe

Fall Kampusch Neue schwere
Fall Kampusch Neue schwere(c) AP (Leonhard Foeger)
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Der frühere Präsident des Obersten Gerichtshofes, Johann Rzeszut, erhebt erneut schwere Vorwürfe gegen die Anklagebehörden. Polizeiliche Ermittlungsergebnisse seien vernachlässigt worden.

Der Entführungsfall Natascha Kampusch sorgt einmal mehr für Aufregung: Obgleich die Behörden die Sache Anfang Jänner dieses Jahres endgültig als abgeschlossen betrachteten – und sich mit höchster Wahrscheinlichkeit von der Einzeltäterthese überzeugt zeigten, prangert der pensionierte Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH), Johann Rzeszut, nun das Vorgehen der Anklagebehörden scharf an.

Er wirft diesen „konsequente und beharrlich fortgesetzte Vernachlässigung entscheidender polizeilicher Ermittlungsergebnisse“ und eine „langfristige Verzögerung bzw. bis zuletzt gänzliche Unterlassung nachhaltigst indizierter wesentlicher Ermittlungsschritte“ vor. Dies berichtet die Austria Presse Agentur unter Verweis auf ein 46 Seiten starkes Schreiben von Rzeszut. Demnach sei auch die damals eingesetzte Kampusch-Evaluierungskommission unter Leitung von Ex-Verfassungsgerichtshof-Präsident Ludwig Adamovich „wesentlich und langfristig“ behindert worden. Rzeszut selbst war Mitglied dieser sechsköpfigen Kommission, die sich ursprünglich darauf konzentrieren sollte, etwaige Pannen bei den Ermittlungen aufzuzeigen. Natascha Kampusch war achteinhalb Jahre lang gefangen. Nachdem ihr die Flucht gelungen war, beging ihr Entführer Wolfgang Priklopil Selbstmord.

Schon im Sommer 2009 hatte Rzeszut vor einem möglichen weiteren Täter gewarnt. Und er hatte schon damals kritisiert, dass jener Staatsanwalt ermittle, der kriminalpolizeiliche Ermittlungsinitiativen „ins Lächerliche zieht“. Damit hatte Rzeszut denselben Weg wie Ludwig Adamovich beschritten, der auch harte Kritik an der Arbeit der Anklagebehörden – im Wesentlichen die Staatsanwaltschaft Wien und die Oberstaatsanwaltschaft Wien – geübt hatte.

Nun bringt der Ex-OGH-Präsident in seiner „Sachverhaltsmitteilung“ an alle im Parlament vertretenen Parteien den Selbstmord des Leiters der polizeilichen Kampusch-Sonderkommission mit den Ermittlungen in Verbindung. Der Suizid sei „als Verzweiflungstat zu verstehen, die nicht unwesentlich durch eine unverständlich beharrliche Resistenz der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsleitung gegenüber sicherheitsbehördlichem Ermittlungsfortschritt entscheidend mitausgelöst wurde“. Der hochrangige Ermittler hatte sich Ende Juni 2010 auf seiner Terrasse in Graz erschossen.

Laut Rzeszut war der Beamte in den Monaten zuvor einer „sachlich nicht vertretbaren Druckausübung“ ausgesetzt gewesen, indem man ihm im November 2009 „unmissverständlich“ nahegelegte habe, er möge den Ermittlungsakt schließen. Dieses Vorgehen schreibt Rzeszut vor allem dem damaligen Grazer Oberstaatsanwalt und nunmehrigen Leiter der Staatsanwaltschaft Graz, Thomas Mühlbacher, zu. Mühlbacher war damals die Zentralfigur der Anklage – er war auf Anordnung des Justizressorts bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien dienstzugeteilt – als Sonderermittler, der von außen kommend mögliche bisher gemachte Fehler beseitigen sollte. Auf Befragen der „Presse“, wie er sich den Vorstoß von Rzeszut erklären könne, zeigte sich Mühlbacher ratlos. Er kenne Rzeszut gut. Dieser sei nun mit den Vorwürfen nicht an ihn herangetreten.

„Akt x-mal geprüft“

Auch mit der Kampusch-Evaluierungskommission, der Rzeszut angehörte, sei er in engem Kontakt gestanden, man habe Anregungen sehr wohl aufgegriffen. Ebenso habe er den verstorbenen Soko-Leiter gut gekannt. Auch dieser sei zuletzt der Ansicht gewesen, dass es nur einen Täter gegeben haben könne. Der Selbstmord sei nicht mit den Kampusch-Ermittlungen zu erklären.

Indessen zeigt man sich auch in der Staatsanwaltschaft Wien über die neuerliche Kritik überrascht. Leiterin Maria-Luise Nittel zur „Presse“: „Die Vorwürfe sind uralter Natur.“ Der von Wien aus eingesetzte Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter habe gute Arbeit geleistet. „Den Akt haben so viele Leute in der Hand gehabt, der Akt wurde x-mal geprüft, es wäre sofort durch die Dienstaufsicht reagiert worden, wenn irgendetwas nicht gestimmt hätte.“ Ob die Vorwürfe strafrechtliche Konsequenzen haben, entscheidet die Korruptionsstaatsanwaltschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15. Oktober 2010)

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