Krisengipfel der G7

Ringen um Verlängerung der Evakuierungen aus Afghanistan

Die Evakuierungsmission am Flughafen Kabul schreitet voran.
Die Evakuierungsmission am Flughafen Kabul schreitet voran.(c) via REUTERS (US MARINES)
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Der britische Premier Johnson will beim Krisengipfel der G7 für eine Verlängerung des US-Evakuierungseinsatzes werben.

Angesichts anhaltend dramatischer Zustände am Flughafen von Kabul steigt vor dem Krisengipfel der G7 der Druck auf die USA, den Einsatz zur Rettung zehntausender Menschen über August hinaus zu verlängern. Der britische Premier Boris Johnson will nach Angaben seines Verteidigungsministers Ben Wallace bei den virtuellen Beratungen am Dienstag für eine Verlängerung des US-Evakuierungseinsatzes werben. Auch am Montag wurden wieder Tausende aus Kabul in Sicherheit gebracht.

Schon eine Ausweitung des Einsatzes um "nur ein oder zwei Tage würde uns ein oder zwei Tage mehr Zeit geben, um Menschen zu retten", betonte Wallace. Zu den Fürsprechern einer Verlängerung des Evakuierungseinsatzes gehört auch Frankreich. US-Präsident Joe Biden will einem Insider zufolge binnen 24 Stunden über eine Verlängerung der Abzugsfrist entscheiden. Biden wolle dem Pentagon Zeit zur Vorbereitung einräumen, erklärt ein Regierungsbeamter der Nachrichtenagentur Reuters. Nach Angaben Washingtons und Londons berieten Biden und Johnson am Montag über die laufende Rettungsmission. Sie vereinbarten demnach, weiter daran zu arbeiten, dass alle Ausreiseberechtigten Afghanistan verlassen können.

Pentagon-Sprecher John Kirby wollte nicht ausschließen, dass die Frist über Ende August hinaus verlängert werden könnte. Er betonte aber: "Unser Fokus liegt darauf, das bis zum Ende des Monates zu schaffen." Deutlich skeptischer äußerte sich der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus, Adam Schiff. Er halte eine Rettung aller US-Bürger, die sich noch in Afghanistan befinden, für "möglich, aber sehr unwahrscheinlich", sagte der Politiker der Demokraten vor Journalisten.

Trotz Gewalt und chaotischen Zuständen an den Gates zum Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul schreitet die Evakuierungsmission voran. Das Tempo der Abflüge habe sich im Vergleich zu Sonntag fast verdoppelt, schrieb der zivile Repräsentant der NATO in Afghanistan, Stefano Pontecorvo, am Montag auf Twitter. Genaue Zahlen nannte er keine.

Taliban: 31. August als "rote Linie"

Ein Sprecher der Taliban in der katarischen Hauptstadt Doha sagte dem Sender Sky News, eine Verlängerung der Frist zu Evakuierung käme einer Verlängerung der militärischen Besatzung seines Landes gleich. Das sei weder notwendig noch werde man sich darauf einlassen. Sollten sich die USA dazu entscheiden, werde das Konsequenzen haben, so der Sprecher weiter. "Würden die USA oder Großbritannien zusätzliche Zeit erbitten, um die Evakuierungen fortzusetzen, wäre die Antwort ein Nein", sagte Suhail Shaheen, ein Mitglied der Taliban-Delegation in Doha. Die für den 31. August festgesetzte Frist sei eine "rote Linie", so der Shaheen weiter.

Den großen Andrang am Flughafen in Kabul erklärte Shaheen mit dem Wunsch vieler Menschen, der Armut in Afghanistan zu entfliehen. Ängste vor Unterdrückung durch die Taliban würden als Vorwand genutzt und seien unbegründet. Berichte über Vergeltungsaktionen von Taliban-Kämpfern an Journalisten, ehemaligen Regierungsmitarbeitern und anderen vermeintlichen Kollaborateuren bezeichnete er als "Fake". Jeder Vorfall weder untersucht. Wer sich schuldig mache, werde zur Verantwortung gezogen.

Seit Tagen versuchen die NATO-Staaten nach dem Fall Kabuls an die radikal-islamische Taliban Ausländer und afghanische Ortskräfte aus der Hauptstadt auszufliegen. Bisher hatten die US-Streitkräfte angekündigt, den Flughafen bis zum 31. August betreiben zu wollen. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sagte, er rechne nicht damit, dass die Truppen seines Landes länger als das US-Militär bleiben würden. Deshalb gehe es jetzt "um Stunden, nicht Wochen".

Die britischen Streitkräfte haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums ihrerseits seit dem 13. August 5.725 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen. In Kabul seien gegenwärtig mehr als 1.000 britische Militärangehörige im Einsatz. Zuletzt schickte auch Japan ein Militärflugzeug nach Afghanistan, um Staatsbürger und Ortskräfte außer Landes zu bringen. Die Schweiz flog nach eigenen Angaben 100 Personen aus.

Ungarn hat laut Reuters am Montag insgesamt 173 Personen evakuiert, darunter auch Österreicher und US-Amerikaner. Die Maschine sei in der Früh in Budapest gelandet, erklärte Außenminister Peter Szijjarto. Acht Personen konnten gestern auf einem Flug der ungarischen Luftwaffe Afghanistan via Usbekistan sicher verlassen, bestätigte das Außenamt in Wien auf APA-Anfrage und dankte Ungarn für die erbetene Hilfe. Szijjarto deutete aber auch Spannungen mit den den Flughafen kontrollierenden US-Truppen an. Diese sollten auch Personen auf das Gelände lassen, die Ungarn evakuieren möchte. Bereits zuvor hatte es von etlichen Regierungen Beschwerden gegeben.

Französische Spezialkräfte haben mit US-Unterstützung 260 Mitarbeiter der EU-Kommission in Kabul auf das dortige Flughafengelände gebracht. Sie warteten im Bereich der auf den Flughafen verlegten französischen Botschaft auf ihren Abflug.

Spanien kann vorübergehend bis zu 4000 Afghanen, die für die USA gearbeitet haben, auf zwei Militärstützpunkten aufnehmen. Das gibt Verteidigungsministerin Margarita Robles bekannt. Einer Vereinbarung zwischen Madrid und Washington zufolge könnten die Afghanen bis zu zwei Wochen in Spanien bleiben. Sie sollen dann von den Stützpunkten Moron de la Frontera nahe Sevilla sowie Rota nahe Cadiz in andere Länder gebracht werden.

Feuergefecht beim Flughafen

Die Lage am Flughafen gilt als schwierig. Die US-Truppen hatten mit Erlaubnis der Taliban zunächst den Sicherheitsbereich um den Flughafen erweitert. Die Gegend um den Flughafen kontrollieren aber die Taliban. Am Rande des Geländes kam es zu einem Feuergefecht zwischen afghanischen Sicherheitskräften und unbekannten Angreifern, bestätigte die deutsche Bundeswehr. Dabei sei eine afghanische Sicherheitskraft getötet, drei seien verletzt worden. Im weiteren Verlauf des Gefechts seien auch Einsatzkräfte aus den USA und Deutschland beteiligt gewesen. Alle Soldaten der Bundeswehr seien unverletzt.

Die Taliban sollen nach Angaben eines Sprechers in Nordafghanistan drei Bezirke erobert haben, die unter die Kontrolle lokaler Milizen gefallen waren. Dabei gehe es um die Bezirke von Badakhshan, Takhar und Andarab. Der dortige Widerstand war das erste Zeichen, dass es bewaffnete Gegenwehr gegen die Machtergreifung durch die Taliban gibt. Die afghanische Armee hatte viele Regionen des Landes und auch Kabul weitgehend kampflos aufgegeben.

Die russische Regierung kündigte an, mit zentralasiatischen Länder eine Militärübung abzuhalten. Hintergrund ist die Sorge, dass sich nach dem Sieg der Taliban Spannungen in Nachbarländern ausweiten. Russland will zudem Waffen an Nachbarstaaten Afghanistans verkaufen. Das Gerät werde zu günstigen Preisen abgegeben, teilte die Regierung in Moskau mit. Beliefert werden könnten sogenannte CSTO-Staaten (Collective Security Treaty Organization), also ehemalige Sowjetrepubliken wie Tadschikistan oder Turkmenistan.

(APA/dpa/Reuters/AFP)

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