Claudia Bandion-Ortner ist keine herausragende Juristin

Wenn das Urteil einer Strafrichterin der ersten Instanz aufgehoben wird, ist das kein Skandal. Wenn diese vor dem Abschluss des Verfahrens Justizministerin wird, schon.

Der Richterin Claudia Bandion-Ortner geschieht Unrecht. Der von vielen erweckte Eindruck, die drohende Aufhebung des Urteils im Bawag-Prozess sei ein Skandal, verkennt das rechtsstaatliche System hierzulande ziemlich gründlich. Bandion-Ortner hatte, bevor sie überraschend zur Justizministerin avancierte, als Strafrichterin in der ersten Instanz am Wiener Straflandesgericht gearbeitet. In der juristischen Hierarchie gilt das Strafrecht hinter Zivilrecht und Öffentlichem Recht als einfachste Disziplin. Und der erstinstanzliche Richterposten ist in der Karriere eines Unparteilichen per definitionem die unterste Stufe. Claudia Bandion-Ortner ist also in diesem Sinn keine herausragende Juristin. Bestenfalls Durchschnitt.

Dass Bandion-Ortner im Bawag-Prozess den Vorsitz geführt hat, hat zudem weniger mit einer besonderen Qualifikation für den Fall als vielmehr mit dem Zufall zu tun. Um auszuschließen, dass ein bestimmter Richter ein bestimmtes Verfahren bekommt, werden die Strafakten nach dem Datum des Einlangens bei Gericht einem Richter zugeteilt. Im Fall der Bawag fiel das Los eben auf Bandion-Ortner.

Nachdem die Zahl der Gesetze und ihre Auslegung immer unüberschaubarer wird, kommt dem erstinstanzlichen Richter vor allem eine ganz wesentliche Aufgabe zu: die Fakten, die zur juristischen Beurteilung eines Sachverhalts notwendig sind, so vollständig zusammenzutragen, dass die oberen Instanzen aufgrund der Aktenlage die getroffene rechtliche Einschätzung verlässlich überprüfen können.


Natürlich fällt auch die juristische Beurteilung in den Aufgabenbereich des Erstrichters. Aber hier muss man realistisch sein: Je komplexer das juristische Problem, desto wahrscheinlicher ist es, dass erst einer der qualifizierteren Richtersenate in höherer Instanz die rechtlich haltbare Lösung findet. Es erwartet ja auch niemand von einem praktischen Arzt eine ausgefallene Spezialdiagnose, sehr wohl aber die rechtzeitige Überweisung an den zuständigen Spezialisten. Dass in einem Monsterverfahren wie der Bawag-Causa das Urteil zum Teil aufgehoben werden könnte, ist also kein Justizskandal. Und stellt der Ministerin als Richterin nicht automatisch ein schlechtes Zeugnis aus (ein besonders gutes freilich auch nicht).

Der Ministerin Claudia Bandion-Ortner geschieht allerdings völlig recht, wenn nun politische Gegner und weite Teile der veröffentlichten Meinung über sie herfallen. Denn sollte das Bawag-Urteil nun tatsächlich in Punkten durch den Obersten Gerichtshof aufgehoben werden (das vorliegende Gutachten der Generalprokuratur, die dem Höchstgericht gutachterlich zur Seite steht, hat ja keine verbindliche Wirkung), wäre das noch verbliebene politische Kapital der Ministerin mit einem Schlag verspielt. Der öffentliche Status der Star-Richterin (die sie inhaltlich nie war) würde abgelöst von einem Bild der fachlichen Versagerin, die sie nicht ist – aber das spielt in der politischen Wirkung keine Rolle.


Bandion-Ortner und ihr Erfinder, ÖVP-Chef Josef Pröll, hätten wissen müssen, dass vor dem rechtskräftigen Abschluss des Bawag-Verfahrens Bandions Bestellung zur Justizministerin einen absoluten Tabubruch darstellt. Nur zur Erinnerung: Die in einem der politisch bedeutsamsten Verfahren der Zweiten Republik entscheidende Richterin wechselt vor dem endgültigen Ende des Verfahrens gemeinsam mit dem in dem Fall zuständigen Staatsanwalt an die Spitze des Justizministeriums. Man muss nicht Ruth Elsner heißen, um sich bei diesem Gedanken nicht mehr ganz wohl in seiner Haut zu fühlen.

Ein Gutes hat der politische Justizskandal in der Causa Bawag allerdings. Es wird deutlich sichtbar, wie sehr der funktionierende Rechtsstaat von seiner Ausgestaltung in der Praxis abhängt. Fehlende Ressourcen und mangelndes Know-how in Wirtschaftsfragen sind evident (die von Bandion-Ortner angeregte Eco-Spezialtruppe bei der Staatsanwaltschaft ist nur ein erster Schritt zur Abhilfe). Ganz prinzipiell muss der Politik aber klar sein, dass das wesentlichstes Kapital der Justiz das Vertrauen in ihr Funktionieren ist. Dieses Vertrauen ist durch den Bawag-Fall, der nicht erst seit heute auch ein Fall Bandion-Ortner ist, schwer erschüttert.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2010)

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