Duma-Wahl

Was ist mit den Internet-Stimmen in Moskau passiert?

Eine Wahlurne mit verschlüsselten Daten von online abgegebenen Stimmen in einem staatlichen Wahl-Überwachungs-Center in Moskau.
Eine Wahlurne mit verschlüsselten Daten von online abgegebenen Stimmen in einem staatlichen Wahl-Überwachungs-Center in Moskau.imago images/ITAR-TASS
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Die verzögerte Veröffentlichung von zwei Millionen "elektronischen" Stimmen in Moskau sorgt für Kritik. Kreml-nahe Experten kündigen "fantastische Zahlen" für Putins Partei „Einiges Russland" an, die Opposition fordert eine Annullierung.

Nach der Parlamentswahl in Russland haben die Ergebnisse der Online-Abstimmung in der Hauptstadt Moskau Entsetzen ausgelöst. "Wir erkennen die Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe in Moskau nicht an", sagte der Vizechef der Kommunistischen Partei Russlands, Dmitri Nowikow, am Montag.

Die Ergebnisse der elektronischen Abstimmung wurden in der russischen Hauptstadt erst am Montagmittag veröffentlicht. In anderen Regionen waren sie bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale am Sonntag verfügbar.

Die Wahlbeobachterorganisation Golos sprach von einem klar belegbaren Betrug. Sie forderte die Wahlkommission zur Annullierung der Ergebnisse auf. Es seien 78.000 Stimmzettel für die Online-Abstimmung mehr ausgewiesen worden als an Wahlberechtigte ausgegeben, teilte der Golos-Experte Roman Udot bei Facebook mit.

Mehr Stimmen gezählt als abgegeben wurden

Es sei an einer Verlaufskurve klar erkennbar, dass gegen Ende der Abstimmung am Sonntag die Zahl der abgegebenen Stimmen die der registrierten deutlich übersteige. "Wenn in einer Urne ein Stimmzettel mehr liegt als rechtmäßig ausgegeben, dann werden alle Wahlzettel für ungültig erklärt. Und wie ist das, wenn es 78.000 sind?", sagte Udot.

In den Wahlkreisen der Hauptstadt hatten bei der Handauszählung der Stimmzettel mehrheitlich Kandidaten anderer Parteien als der Kremlpartei Geeintes Russland gewonnen. Nach Veröffentlichung der Ergebnisse der erstmals so organisierten elektronischen Abstimmung lagen plötzlich überall die Bewerber der Kremlpartei vorn.

Die Opposition um den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny teilte mit, so genau sähen Wahlen aus, die den Menschen gestohlen würden. Die Kommunisten kündigten Straßenproteste an. Allerdings lehnte das die Stadtverwaltung wegen der Corona-Pandemie kategorisch ab.

>> Ergebnis: Nur Putin zugeneigte Parteien im Parlament

Vorwürfe der Manipulation

Experten und Politiker der Regierungspartei waren schon am Sonntagabend davon ausgegangen, dass die Internet-Wahl in Moskau massiv der regierenden Partei Einiges Russland nützen würde. "Ich denke, dass Parteien wie die Kommunisten, die zum Boykott der Internet-Abstimmung aufgerufen haben, hier schlechter als in den Wahllokalen abschneiden werden. Anders wird das bei Parteien wie Einiges Russland sein, die zur Wahl im Internet aufgerufen haben", erklärte der liberale Journalist Alexej Wenediktow, der als einer der Chefideologen der Internet-Abstimmung aufgetreten war. Er verglich die Situation mit den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen, wo Joe Biden bei den Briefwahlen deutlich besser als sein Konkurrent Donald Trump abgeschnitten hatte.

Der Kreml-nahe Politikexperte Konstantin Kostin hatte zuvor von "fantastischen Zahlen" gesprochen, die es für Einiges Russland bei den Internet-Wahlen in Moskau geben könnte. Er begründete dies damit, dass es viele loyale Wähler in der Hauptstadt gebe, die aber oftmals nicht zu den Wahlen gegangen seien und die nunmehr dies im Internet machen konnten.

Wählen vor den Augen des Arbeitgebers

Kritiker der Internetwahl hatten freilich angemerkt, dass etwa Arbeitgeber ihre Mitarbeiter zwingen könnten, vor ihren Augen im Internet für die Kremlpartei zu votieren oder einen Screenshot als Beweis dafür liefern zu müssen. Als Gegenmaßnahme wurde die Option eines erneuten Votierens geschaffen, das die erste Stimmabgabe automatisch ungültig machen würde. Screenshots konnten somit nur noch bedingt als Beweismittel für das endgültige Wahlverhalten gelten. Laut Wenediktow hätten 16 Prozent der Internetwähler diese Möglichkeit auch tatsächlich genützt.

Das von Anhängern des inhaftierten Politikers Alexej Nawalny propagierte "Intelligente Abstimmen" dürfte somit in Moskau völlig gescheitert sein - dabei sollte in jedem Wahlkreis der Kandidat unterstützt werden, der den Vertreter von Putins Partei Geeintes Russland am ehesten besiegen könnte. Anhand einer App gab die Opposition ihren Anhängern Empfehlungen, für welchen Kandidaten sie stimmen sollten, um ein möglichst hohes Ergebnis zu erzielen. In der Vergangenheit hatte die Opposition damit vereinzelt Erfolge verbucht.

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