Führungsfehler

Der Mann im Keller

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Kolumne „Führungsfehler“. In der Consultingfirma arbeiteten fast nur Akademiker. Je mehr Titel, desto höher stand man in der Hackordnung.

Ganz unten im Keller arbeitete der Archivar. Früher war er Haustechniker gewesen, nicht-Akademiker selbstverständlich. Ein Verkehrsunfall fesselte ihn an den Rollstuhl. Somit unkündbar, wurde er mit dem nie benutzten Analogarchiv betraut. Ans Licht kam er nur, wenn sein Arbeitgeber als sozial vorbildlich gelten wollte.

Einer Praktikantin – eine Bachelor im Masterstudium – tat der Mann im Keller leid. Sie hatte den Auftrag, für eine Jahresvereinbarung alles über einen bestimmten, langjährigen Kunden herauszufinden. Das Digitalarchiv gab nur Hard Facts her, nichts Persönliches. Ich frage den Mann im Keller, dachte sie, schnappte sich einen Kaffee und eine Schachtel Kekse und stieg in den Keller hinab.

Der Archivar freute sich. Und versorgte sie – nach kurzem eifrigem Herumrollen zwischen den Regalen – mit allerlei nützlichen Informationen. Dass der Kunden-CEO Kaffee hasste, aber Karottensaft liebte. Dass er eine bestimmte Hunderasse züchtete und immer einen dabeihatte. Dass sein Assistent allergisch gegen Hausstaubmilben war.

Die Praktikantin notierte sich alles. Dann stellte sie Karottensaft bereit, Hundedecke und Wassernapf, und sie schickte in der Früh noch einen Putztrupp durch den Raum.

Der CEO war angetan. Jedes Jahr kam er zur Verlängerung der Vereinbarung, nie bekam er etwas anderes als Kaffee. Diesmal erfrischte ihn sein geliebter Karottensaft, sein Hund lag glücklich auf der Decke und selbst sein Assistent nieste nicht.

Woher wussten Sie das alles?, fragte der Key Accounter danach die Praktikantin. Den erfolgreichen Abschluss würde er für sich verbuchen, dem Mädel aber ein gutes Zeugnis ausstellen. Ich war beim Archivar, antwortete sie. Sie sollten sich Ihres Standes bewusst sein, riet er entrüstet, und dass sie sich nicht mit misera plebs (wo haben wir das kürzlich nur gehört?) einlassen solle.

Doch heimlich, ganz heimlich nahm er sich vor, beim nächsten Mal auch den Archivar aufzusuchen. Vielleicht mit einer Schachtel Pralinen.

Diese Kolumne startete im Jänner 2015 mit dem Anspruch, die lustigen, traurigen, zum Kopfschütteln anregenden, manchmal tragischen Varianten von Führungsfehlern abzubilden. Die finden sich überall: im gigantischen Konzern wie in der Kleinfamilie.

Wenn Sie einen Führungsfehler loswerden wollen, schreiben Sie an: andrea.lehky@diepresse.com

Ähnlichkeiten mit realen Personen und Organisationen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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