Halbleiter-Engpass

Studie: Chipmangel kostet Autoindustrie 210 Milliarden Dollar Umsatz

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Die globale Chip-Krise kommt der Autoindustrie heuer fast doppelt so teuer wie gedacht kommen. Voraussichtlich werden um 7,7 Millionen weniger Fahrzeuge produziert als geplant.

Der anhaltende Chipmangel wird für die globale Autoindustrie einer Studie zufolge fast doppelt so teuer wie bisher gedacht. Wegen der fehlenden Halbleiter dürften der Branche heuer Einnahmen in Höhe von 210 Milliarden Dollar (179 Milliarden Euro) entgehen, prognostizierte die Beratungsfirma Alix Partners am Donnerstag in München. Im Mai war sie noch von 110 Milliarden Dollar ausgegangen.

Der Produktionsausfall wird voraussichtlich deutlich größer sein. Demnach werden heuer wohl um 7,7 Millionen Fahrzeuge weniger produziert als geplant. Im Mai hatte Alix Partners einen Ausfall von 3,9 Millionen Fahrzeugen prognostiziert. Die Experten des britischen Forschungsinstituts IHS Markit hatten ihre jüngste Schätzung für die weltweite Jahresproduktion von Autos vergangene Woche um 5 Millionen auf 75,8 Millionen Fahrzeuge gesenkt.

So hatte der japanische Autobauer Toyota Mitte September mitgeteilt, im bis Ende März 2022 laufenden Geschäftsjahr um 300.000 weniger Autos produzieren zu können. Und Daimler-Vorstandschef Ola Källenius erwartet erst 2023 eine deutliche Entspannung der Lage in der Branche. Das deckt sich mit der Prognose der Experten des britischen Forschungsinstituts IHS Markit. Dessen Forscher erwarten für 2022 jetzt weltweit nur noch eine Jahresproduktion von 82,6 Millionen Fahrzeugen, um neun Prozent weniger als bisher gedacht.

Zuliefer noch stärker betroffen

Während die Autobauer dies zum Teil mit höheren Fahrzeugpreisen kompensieren könnten, täten sich die Zulieferer damit schwerer, analysierte Marcus Kleinfeld von Alix Partners in Deutschland. Deshalb treffe der Chipmangel sie noch stärker als die Autobauer. Autozulieferer hängen insbesondere vom Produktionsvolumen der Hersteller ab.

So strich der deutsche Schweinwerfer- und Elektronikspezialist Hella am Donnerstag denn auch seine Geschäftsprognosen zusammen. Weil die Autohersteller infolge der Engpässe weniger Fahrzeuge bauen können, dürfte der Umsatz im laufenden Geschäftsjahr bis 31. Mai 2022 nur 6 bis 6,5 Milliarden Euro erreichen, teilte das im deutschen Börsenindex MDax gelistete Unternehmen mit. Bisher war der Vorstand von 6,6 bis 6,9 Milliarden Euro ausgegangen. Währungseffekte sowie der Kauf- und Verkauf von Unternehmensteilen sind dabei ausgeklammert. Zudem dürfte ein geringerer Teil des Umsatzes als bereinigter operativer Gewinn (bereinigtes Ebit) bei Hella hängen bleiben: Das Management rechnet jetzt mit einer bereinigten operativen Marge von 5 bis 7 Prozent. Bisher hatten die Westfalen etwa 8 Prozent angepeilt.

Auch der französische Autozulieferer Faurecia kappte an diesem Donnerstag seine Jahresziele. Faurecia ist derzeit dabei, Hella zu übernehmen. Der Umsatz werde mit 15,5 Milliarden Euro rund eine Milliarde Euro niedriger ausfallen als bisher gedacht, hieß es von den Franzosen. Auch den Gewinn im Tagesgeschäft erwartet der Konzern nun auf einem niedrigeren Niveau: Statt 7 Prozent dürften der neuen Prognose zufolge nur 6 bis 6,2 Prozent des Umsatzes als operativer Gewinn übrig bleiben.

Branche seit Monaten belastet

Die Chipflaute belastet die Autobranche schon seit Monaten. Zunächst hatten sich die großen Chip-Auftragsfertiger in der Coronakrise auf Halbleiter für Verbraucherelektronik verlegt, um die hohe Nachfrage zu decken. Hinzu kamen heuer Produktionsausfälle bei Chipfirmen in Japan und Texas sowie die Corona-Lockdowns in Malaysia und anderen südostasiatischen Staaten. Weltweit sind Halbleiter derzeit knapp, und der von den Chipfertigern für hohe Milliardensummen angestoßene Aufbau neuer Kapazitäten gestaltet sich langwierig.

Die Knappheit weiterer Ressourcen wie Harz und Stahl belaste die Autoindustrie zusätzlich, analysierte Mark Wakefield, globaler Co-Chef des Segments Automobil- und Industriepraxis bei Alix Partners. Auch der Arbeitskräftemangel sei ein Problem.

Sein Kollege Dan Hearsch fügte hinzu: "In der Branche gibt es derzeit wirklich keine Puffer mehr, wenn es um die Produktion oder die Beschaffung von Material geht." Praktisch jede Verknappung oder Produktionsunterbrechung in irgendeinem Teil der Welt wirke sich auf Unternehmen in der ganzen Welt aus und die Auswirkungen würden jetzt durch alle anderen Engpässe noch verstärkt.

(APA)

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