Heiner Geißler vermittelt: Liveübertragung in Fernsehen und Internet. Noch nie hat eine Landesregierung oder, wie in diesem Fall, auch die Deutsche Bahn ein Projekt vor einer Bürgerbewegung öffentlich rechtfertigen müssen.
Berlin. Nicht um Predigten, Glaubensbekenntnisse oder historische Seminare gehe es, sondern um die Sache. Heiner Geißler (CDU), der im Konflikt um das Bahnhofprojekt „Stuttgart 21“ vermittelt, mahnte am Freitag bei der ersten Gesprächsrunde von Befürwortern und Gegnern, das „noch nie da gewesene Experiment“ zur sachlichen und respektvollen Auseinandersetzung zu nützen. Dennoch war die Stimmung fühlbar angespannt, der harte Schlagabtausch zur Leistungsfähigkeit des Durchgangsbahnhofs, zu dem der jetzige Kopfbahnhof umgebaut werden soll, zeigte, wie weit beide Seiten voneinander entfernt sind.
Die Art der Schlichtung ist jedenfalls eine Premiere. Noch nie hat eine Landesregierung oder, wie in diesem Fall, auch die Deutsche Bahn ein Projekt vor einer Bürgerbewegung öffentlich rechtfertigen müssen. „Wir machen etwas Neues, um die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, jederzeit selbstständig zu denken“, so Geißler, der auch schon in Tarifkonflikten erfolgreich vermittelt hat. Die Gesprächsrunde – es war die erste von sieben – wurde ab 10 Uhr vormittag bis zum Abend in Internet und Fernsehen live übertragen. Die Zuseher waren dabei stark gefordert: nicht nur zeitlich, sondern auch durch die Komplexität des Projekts und der Fachausdrücke.
Keine Annäherung in der Sache
Einen „Lernprozess für künftige Großprojekte“ sieht der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) in den Gesprächen, die Grünen sprechen von der Erprobung eines „neuen Modells für eine moderne Bürgergesellschaft“. Die Deutsche Bahn räumt zwar Kommunikationsmängel ein, will aber an „Stuttgart 21“ festhalten, ebenso wie Landes- und Bundesregierung. Auch Geißler betonte zu Beginn der Gespräche, dass der Bahnhof nicht „neu erfunden“ werden könne. Für Beobachter ist schwer vorstellbar, welcher Kompromiss konkret erzielt werden könnte.
Angesichts der massiven Proteste gegen das 4,1 Milliarden Euro teure Projekt kann zumindest die Deeskalation der Emotionen als erster Erfolg gewertet werden. In der Sache gab es aber noch keine Annäherung: Der neue unterirdische Durchgangsbahnhof werde um ein Drittel leistungsfähiger sein, die Kapazität könne um mehr als 200 Züge pro Tag erhöht werden, argumentierte der Vertreter der Bahn. Dagegen behauptete die Gegenseite, im neuen Bahnhof könnten in Spitzenzeiten bis zu elf Züge weniger abgewickelt werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2010)