"Stuttgart 21": Verhärtete Fronten bei Schlichtung

Stuttgart Verhaertete Fronten Schlichtung
Stuttgart Verhaertete Fronten Schlichtung(c) Dpa/Bernd Wei�brod (Bernd Wei�brod)
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Im Streit um das Bahnhofsprojekt führen Gegner und Befürworter erste Gespräche. Eine Annäherung scheint dabei nicht in Reichweite.

Im Streit um das deutsche Bahnprojekt "Stuttgart 21" zeichnet sich auch nach dem Beginn der Schlichtungsgespräche zwischen den Gegnern und Befürwortern des Vorhabens keine Annäherung ab. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) wies am Freitag zahlreiche Argumente der Deutschen Bahn als nicht zutreffend zurück. Auch der Sprecher der Initiative "Leben in Stuttgart - kein Stuttgart 21", Gangolf Stocker, zeigte bei dem Treffen im Stuttgarter Rathaus keine Bereitschaft zum Einlenken.

Zuvor hatte das Bahn-Vorstandsmitglied Volker Kefer für das Projekt geworben. Er sagte, in Stuttgart biete ein Durchgangsbahnhof "ein Drittel mehr Leistungsfähigkeit" gegenüber dem bisherigen Kopfbahnhof. Konkret könne dadurch die Kapazität um mehr als 200 Züge pro Tag erhöht werden - bei "gleichzeitiger Halbierung" der Gleiszahl. Kefer bot zugleich an, sich über Konfliktpunkte wie den Fahrplan oder die Infrastruktur zu unterhalten.

Bahn: "Erhebliche Umwelt-Entlastung"

Bei dem Streit geht es auch um die geplante Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm. Kefer erläuterte, die Bahn wolle ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Flugverkehr gewährleisten. Zudem wolle sie die Reisenden dazu bewegen, nicht mit dem Auto zu fahren, sagte Kefer. Man setze durch den "Lückenschluss im Südwesten" auf einen Zuwachs von zwei Millionen Reisenden pro Jahr, die von der Straße auf die Schiene wechseln. Dies bedeute auch eine "erhebliche Entlastung der Umwelt".

Palmer entgegnete, das Projekt "Stuttgart 21" bedeute in Wahrheit eine Schwächung des Schienenverkehrs. Kefer habe bei seinem Vortrag "getrickst". Auch die Warnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vom Donnerstag treffe nicht zu, dass Baden-Württemberg "Stuttgart 21" brauche, um nicht verkehrlich und wirtschaftlich abgehängt zu werden.

Gegner zweifelt Zahlen an

Palmer kritisierte, die Bahn werbe mit "Mondzahlen" für das Projekt. Der bisherige Kopfbahnhof habe "sich bewährt". Es koste wesentlich mehr Geld, "alles kaputt zu machen" und wieder neu zu gestalten, als das Vorhandene zu "ertüchtigen". Außerdem sei nicht bewiesen, dass durch "Stuttgart 21" so viele Arbeitsplätze geschaffen werden, wie die Bahn behaupte.

Der Schlichter Heiner Geißler forderte daraufhin, sachliche Widersprüche bei der Bewertung des Projekts müssten im Verlauf der Schlichtung aufgeklärt werden. Die Bürger müssten die Argumente nachvollziehen können.

Pro und Contra

Das deutsche Milliarden-Projekt "Stuttgart 21" ist seit Beginn der Planungen vor 15 Jahren umstritten. Umweltschützer, Bürgerinitiativen und Grünen-Politiker laufen Sturm dagegen. Anhänger hat das Vorhaben vor allem in Baden-Württembergs CDU/FDP-Koalition, in Teilen der SPD, bei Vertretern der Region und des Flughafens.

Mehr: Pro und Contra "Stuttgart 21"

"Wollen hier keine Predigten hören"

Bereits zum Auftakt des Gesprächs hatte Geißler die Teilnehmer ermahnt, "streng zur Sache" zu reden. Es sei nicht sinnvoll, parteipolitische Auseinandersetzungen zu führen. Geißler fügte hinzu: "Wir wollen hier keine Predigten hören und keine Glaubensbekenntnisse." Die Zuhörer des von den Fernsehsendern Phoenix und SWR sowie im Internet live übertragenen Gesprächs bat Geißler, sich für neue Argumente zu "öffnen".

Die Schlichtung war nach zähem Ringen erst vor einer Woche zustande gekommen. Bis Ende November wollen Gegner und Befürworter mindestens einmal wöchentlich Argumente austauschen. Bei "Stuttgart 21" soll der Stuttgarter Hauptbahnhof für 4,1 Milliarden Euro von einem Kopf- in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) nannte den Beginn der Schlichtungsgespräche einen "guten Tag für die Demokratie". Es gehe nun darum, alle Fakten auf den Tisch zu legen. Zwar könnten vermutlich nicht jene Leute überzeugt werden, die "generell" gegen "Stuttgart 21" seien. Ziel sei aber, unbegründete Ängste auszuräumen und die Bürger "mitzunehmen".

''Stuttgart 21''

Der Stuttgarter Hauptbahnhof soll unter die Erde verlegt und an eine Neubaustrecke angeschlossen werden. Die Milliardenkosten und der Teilabriss des alten Bahnhofs sind sehr umstritten. Die Bahn rechnet mit Gesamtkosten von sieben Milliarden Euro. Kritiker befürchten eine Kostensteigerung auf bis zu 18,7 Milliarden Euro.

Mehr: Der Fahrplan für die Bauarbeiten

(Ag.)

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