EU-Gipfel: Berlin beharrt, die Banken sollen bluten

(c) REUTERS (THOMAS PETER)
  • Drucken

Deutschlands Kanzlerin Merkel fordert die Änderung der EU-Verträge. Nur so sei gesichert, dass bei künftigen Krisen zuerst die Privatinvestoren zahlen und nicht die Steuerzahler.

Brüssel. Sollte jemals wieder ein Land der Eurozone an den Rand des Staatsbankrotts schlittern, wie das im Frühjahr mit Griechenland der Fall war, sollen vorrangig seine privaten Gläubiger die Zeche zahlen: Mit dieser Position fährt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag nach Brüssel, um beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Union für eine Änderung der EU-Verträge zu werben.

„Die Beteiligung der privaten Gläubiger ist für uns zentral. Das muss rechtlich und politisch stabil sein. Eine Lösung unterhalb der Vertragsänderung reicht da nicht aus“, ließen Berliner Regierungskreise am Dienstag verlauten.

„Haarschnitt“ für die Gläubiger

Merkel fordert also die Schaffung eines Verfahrens, in dessen Rahmen auch Euroländer geordnet in Insolvenz gehen können. Das würde bedeuten, dass die privaten Gläubiger – in erster Linie sind das Großbanken, die Anleihen des betreffenden Staates gekauft haben – zur Entschuldung des insolventen Landes beitragen und ihm damit einen budgetären Neuanfang ermöglichen. Sie müssten also einen „Haircut“ akzeptieren, wie man im Jargon der Finanzwelt sagt, sprich: auf einen Teil ihrer Forderungen gegen den Staat verzichten.

Merkel zieht mit ihrer Forderung nach so einem Schuldenregulierungsverfahren eine späte Lehre aus der griechischen Schuldenkrise. Das seit Anfang Mai laufende Rettungsprogramm für Griechenland, das aus 80 Milliarden Euro an bilateralen Darlehen der anderen Euroländer und 30 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds besteht, leidet unter zwei wesentlichen Mängeln.

Der erste ist fiskalischer Natur: Selbst wenn die Athener Regierung es im Gegenzug für diesen Kredit binnen drei Jahren schafft, die jährliche Neuverschuldung unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken, steigt die Gesamtverschuldung trotzdem auf rund 150 Prozent. So eifrig kann Finanzminister Giorgios Papakonstantinou sein Budget gar nicht sanieren, als dass er diesen Schuldenberg jemals abtragen könnte.

Die griechische Rettung hat zweitens auch einen politischen Mangel. Merkel möchte verhindern, dass künftig wieder die Steuerzahler – also ihre Wähler – zur Kasse gebeten werden, wenn die Banken es durch zu laxe Kreditbedingungen einem anderen Euroland ermöglicht haben, über seine Verhältnisse zu leben. „Man muss gegenüber den Finanzmärkten von vornherein klarstellen: Wenn das wieder passiert, seid ihr dran“, lautet die Botschaft aus Berlin. „Wir gehen davon aus, dass so das Risikobewusstsein der Märkte steigt.“

Merkel ist sich des Risikos bewusst, das eine Vertragsänderung mit sich bringt. Schließlich müssten alle 27 EU-Staaten zustimmen, nicht nur die Mitglieder der Eurozone. Einige Länder müssten Referenden abhalten, in anderen gibt es den politischen Konsens darüber, das Volk zu befragen – allen voran in den Niederlanden. Österreichs Kanzler Werner Faymann (SP) hat sich 2008 in einem offenen Brief an die „Kronen Zeitung“ zur Abhaltung von Volksabstimmungen verpflichtet.

„Es geht um zwei Zeilen Text“

In Berlin bleibt man ungerührt: „Es geht nicht um drei Seiten Text. Wir reden von der Größenordnung von zwei Zeilen.“ Ein kurzer Passus soll ermöglichen, dass die Union einen dauerhaften Mechanismus schaffen kann, damit die Währungsunion nicht durch Probleme eines ihrer Mitglieder gefährdet wird.

Auf einen Blick

Beim morgigen Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel will Deutschland für eine Änderung der EU-Verträge werben. Insbesondere soll es darum gehen, wie vor dem Finanzkollaps stehende Länder entschuldet werden könnten: nämlich in erster Linie durch einen geordneten Verzicht der Gläubiger auf ihre Forderungen wie bei einem gewöhnlichen Insolvenzverfahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27. Oktober 2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Beleidigte Leberwürste

Der Widerstand von Faymann und Pröll gegen die Vertragsänderung schadet Österreich.
oesterreich gegen Stimmrechtsentzug Skepsis
Europa

Österreich gegen Stimmrechtsentzug, Skepsis bei jeder Vertragsänderung

Die Ideen der deutschen Kanzlerin sind nicht im Sinne von Faymann und Pröll. Ein Stimmrechtsentzug, wie ihn Merkel für Defizitsünder vorschlägt, ist nicht denkbar und wäre auch eindeutig eine Vertragsänderung.
Europa

Gipfeltreffen: EU-Vertragsänderung wird "Chefsache"

Beim Herbst-Gipfeltreffen stellen Deutschland und Frankreich die Weichen dafür, dass im Gegenzug für schärfere Budgetkontrollen das Verbot gegenseitiger Übernahme von Schulden in der Eurozone fällt.
Kommentare

Harmoniekanzlerin war gestern

Katastrophale Umfragewerte zwangen Angela Merkel, sich neu zu erfinden.
Frances President Nicolas Sarkozy welcomes German Chancellor Angela Merkel in Deauvilles President Nicolas Sarkozy welcomes German Chancellor Angela Merkel in Deauville
International

EU-Stabilitätspakt: Kritik an deutsch-französischer Keule

Deutschland und Frankreich wollen Staaten, die gegen Defizit- und Schuldengrenzen verstoßen, das Stimmrecht in der EU entziehen. Das stößt auf Kritik: "Der eurpäische Geist funktioniert nicht mit einem Zweitaktmotor".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.