Die Ideen der deutschen Kanzlerin sind nicht im Sinne von Faymann und Pröll. Ein Stimmrechtsentzug, wie ihn Merkel für Defizitsünder vorschlägt, ist nicht denkbar und wäre auch eindeutig eine Vertragsänderung.
Wien. Wie kann man strenger auf die Budgetregeln der Mitgliedstaaten achten, ohne an den bisherigen EU-Verträgen Gravierendes zu verändern? Das ist im Prinzip die Frage, die sich die Österreicher vor dem zweitägigen EU-Gipfel und den von Deutschland und Frankreich geplanten Änderungen am Stabilitätspakt stellen. Für Bundeskanzler Werner Faymann ist dies nicht zuletzt deshalb von großer Bedeutung, weil er bei jeder Vertragsänderung schon vor zwei Jahren (Stichwort „Krone“-Brief) eine Volksabstimmung als unabdingbar dargestellt hat.
Jahrelange Lähmung untragbar
Die Linie der deutschen Kanzlerin ist den Österreichern aber auch aus anderen Gründen suspekt. Da sind sich der Kanzler und sein Vize, Josef Pröll, durchaus einig. Ein Stimmrechtsentzug, wie ihn Merkel für extensive Defizitsünder vorschlägt, ist für beide nicht denkbar und wäre auch eindeutig eine Vertragsänderung. Eine solche kann sich aber schon einmal drei Jahre ziehen. Ohne dass dann am Ende ein eindeutiges und damit brauchbares Ergebnis herauskommt. Eine derartige Lähmung könne man sich einfach nicht leisten, heißt es.
Ein Stimmrechtsentzug würde im Fall des Falles zudem nur die kleinen Staaten treffen, ist man im Büro des Finanzministers überzeugt. Schließlich habe die EU-Kommission bisher nicht gewagt, den Großen auf die Zehen zu treten, selbst wenn sie noch so eindeutig gegen europäische Regeln verstoßen haben. Faymann ist aber ohnehin davon überzeugt, dass Merkel trotz ihrer forcierten Gangart diese Forderungen an diesen beiden Gipfeltagen nicht in die Tat umsetzen kann. Entscheidungen zu solchen Themen bräuchten mit Sicherheit länger.
Was allerdings nicht heißt, dass Österreich gegen jede Verschärfung zur Stabilisierung der Eurozone ist, ganz im Gegenteil. Schließlich zielt Merkels Vorschlag auch darauf ab, Krisen wie bei der Griechenland-Rettung künftig zu vermeiden und den Einsatz der Steuermittel zu minimieren. Die österreichische Regierungsspitze glaubt allerdings, dass diese Änderungen durch Nachbesserungen bei den bestehenden Regeln erreicht werden können.
Defizitsünder: Schärfere Gangart
Für Finanzminister Pröll, der am Mittwoch vor dem Hauptausschuss des Nationalrats Bericht erstattete, ist es beispielsweise nicht genug, allein auf die Budgetdisziplin zu achten. Makroökonomische Ungleichgewichte – Immobilienblasen, hohe Auslandsverschuldung oder sinkende Wettbewerbsfähigkeit – müssten künftig früher erkannt und abgefangen werden. Auch gegen schärfere Sanktionen gegen Defizitsünder hart man nichts einzuwenden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2010)