Todesfall

David Sassoli: Vom Starmoderator mit Charme zum EU-Parlamentschef

Ein Bild vom 15. Dezember 2021, wenige Tage, bevor David Sassoli erneut im Krankenhaus behandelt werden musste.
Ein Bild vom 15. Dezember 2021, wenige Tage, bevor David Sassoli erneut im Krankenhaus behandelt werden musste.APA/AFP/POOL/JULIEN WARNAND
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Journalist, TV-Moderator, EU-Parlamentarier: David Sassoli ist im Alter von 65 Jahren verstorben. Der Italiener war zuletzt wegen Komplikationen „aufgrund einer Funktionsstörung des Immunsystems" im Krankenhaus behandelt worden.

Als er im Juli 2019 zum EU-Parlamentspräsidenten gewählt wurde, war David Sassoli vielen unbekannt. Doch für die Italiener war der Sozialdemokraten schon jahrzehntelang ein vertrautes Gesicht. Schließlich war der in der Nacht zum Dienstag im Alter von 65 Jahren verstorbene Sassoli lang ein beliebter Moderator der RAI-Abendnachrichten.

Sassoli ist in der Gemeinde Aviano in der Region Friaul-Julisch Venetien gestorben, sagte Sprecher Roberto Cuillo. Am Montag hatte ein Sprecher des EU-Parlaments mitgeteilt, dass Sassoli in einem Krankenhaus in seinem Heimatland Italien behandelt werde. Der Aufenthalt sei "wegen einer schweren Komplikation aufgrund einer Funktionsstörung des Immunsystems" erforderlich geworden.

Sassoli gehörte der sozialdemokratischen Partei Partito Democratico (PD) an. Der Parlamentspräsident befand sich nach Angaben des EU-Parlaments bereits seit 26. Dezember in Behandlung. Alle seine Termine wurden abgesagt.

Der Aufenthalt im Krankenhaus war erst Montagnachmittag bekannt geworden. Im Oktober verpasste Sassoli bereits eine Tagung des Parlaments, weil er Fieber hatte. Zuvor wurde er wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus behandelt. Das Krankenhaus Centro di Riferimento Oncologico in Aviano machte auf Nachfrage Dienstag früh keine Angaben. Sprecher Cuillo erklärte auf Twitter weiter, Zeit und Ort der Beerdigung würden in den kommenden Stunden bekanntgegeben.

Journalist, Star-Moderator, EU-Parlamentarier

Mit seinen blauen Augen, seinem toskanischem Charme und dynamischen Stil war Sassoli als Fernsehmoderator in Italien sehr erfolgreich. Seine Karriere als Journalist begann der 1956 in Florenz geborene Sassoli bei lokalen Zeitungen, bevor er 1985 in die römische Redaktion der Mailänder Tageszeitung "Il Giorno" wechselte. 1992 schaffte er den Sprung zu TG3, dem Nachrichtensender von RAI 3. Dabei befasste er sich vor allem mit der Mafia und Organisierter Kriminalität.

1999 kam er als Sonderkorrespondent in die Redaktion von TG1, der Hauptnachrichtensendung von RAI 1. Jahrelang moderierte er die Abendnachrichten. 2007 wurde er Vize-Chefredakteur von TG1 und Verantwortlicher für mehrere Programme, bei denen aktuelle Nachrichten vertieft wurden. Von 2004 bis 2007 war er Vorsitzender des römischen Journalistenverbands.

So ist David Sassoli vielen Italienern in Erinnerung - als TV-Moderator der Nachrichten.
So ist David Sassoli vielen Italienern in Erinnerung - als TV-Moderator der Nachrichten.imago images / Independent Photo

Enttäuschung bei Wahl in Rom

2009 kandidierte er in den Reihen des PDS, Vorgängerpartei des heutigen Partito Democratico (PD), für einen Sitz im EU-Parlament und eroberte dabei in seinem mittelitalienischen Wahlkreis 412.500 Vorzugsstimmen. Daraufhin versicherte er, er wolle der Politik den Rest seines Lebens widmen. Drei Jahre später musste Sassoli jedoch eine schwere Enttäuschung hinnehmen. Er beteiligte sich an Urwahlen in Rom für die Kür des linken Bürgermeisterkandidaten, verlor jedoch im Duell gegen den Genueser Chirurgen Ignazio Marino, der später zum Stadtchef gewählt wurde.

Sassoli kandidierte im Jahr 2014 erneut bei den EU-Parlamentswahlen, als seine PD-Partei - beflügelt vom politischen Erfolg des damaligen Premiers Matteo Renzi - ein Rekordhoch von 40,8 Prozent der Stimmen erreichte. Die Vorzugsstimmen Sassolis halbierten sich gegenüber der Wahl im Jahr 2009, doch im Juli 2014 rückte er mit 393 Stimmen zum Vizepräsidenten des EU-Parlaments auf.

Das letzte Kapitel von Sassolis politischer Karriere wurde bei der EU-Wahl am 26. Mai 2019 geschrieben. Der Florentiner schaffte seine dritte Wiederwahl mit 128.533 Vorzugsstimmen. Seine Amtszeit wäre noch in diesem Monat ausgelaufen.

Von der Leyen: „Großer Europäer"

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kondolierte der Familie des verstorbenen Italieners. "Ich bin sehr traurig über den Tod eines großen Europäers und Italieners. David Sassoli war ein leidenschaftlicher Journalist, ein außergewöhnlicher Präsident des Europäischen Parlaments und vor allem ein lieber Freund", so von der Leyen in einem Tweet auf Italienisch. "Meine Gedanken sind bei seiner Familie", fügte sie hinzu.

Ratspräsident Charles Michel würdigte Sassoli, als "aufrichtigen und leidenschaftlichen Europäer". Seine menschliche Wärme, seine Großzügigkeit, seine Herzlichkeit und sein Lächeln würden bereits vermisst, schrieb Michel am Dienstag auf Twitter. Er fühle sich traurig und bewegt. Auch Michel drückte Sassolis Familie und seinen Angehörigen sein Beileid aus.

EU-Wettbewerbskommissar Paolo Gentiloni schrieb in einem Tweet: "David Sassoli hat uns verlassen. Schreckliche Nachrichten für uns alle in Italien und Europa. Wir werden ihn als einen demokratischen und pro-europäischen Politiker in Erinnerung behalten. Du warst ein klarer, großzügiger, fröhlicher und beliebter Mann. Ruhe in Frieden."

"Seine Herzlichkeit war eine Inspiration für alle, die ihn kannten. Mein aufrichtiges Mitgefühl gilt seiner Familie und seinen Lieben", twitterte EU-Klimakommissar Frans Timmermans. "Mir fehlen die Worte."

Metsola übernimmt vorerst

Als Erste Vizepräsidentin des EU-Parlaments wird die maltesische EVP-Abgeordnete Roberta Metsola (42) nunmehr die Amtsgeschäfte führen. Die Übergangszeit ist sehr kurz. Bereits am Dienstag dürfte Metsola zur neuen EU-Parlamentspräsidentin und Nachfolgerin des italienischen Sozialdemokraten Sassoli gewählt werden.

Für das Amt des nächsten EU-Parlamentspräsidenten gibt bisher zwei weibliche und einen männlichen Kandidaten: Neben Metsola haben sich auch der polnische Abgeordnete Kosma Zlotowski von der rechten EKR-Gruppe und die spanische Linke Sira Rego beworben. Metsola dürfte mit Unterstützung ihrer EVP-Fraktion, der Sozialdemokraten und der liberalen Renew-Fraktion gewählt werden. In den ersten drei Wahlgängen ist eine absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, im vierten Wahlgang reicht eine relative Mehrheit.

Metsola wäre nicht die erste Frau an der Spitze des Europaparlaments. Das Parlament hatte bereits mit Simone Veil (1979-1982) und Nicole Fontaine (1999-2002) zwei Präsidentinnen.

Im November hatte es noch so ausgesehen, als ob Sassoli Metsola herausfordern könnte und für eine zweite Amtszeit antritt. Mitte Dezember - kurz bevor er sich ins Krankenhaus begeben musste - gab Sassoli diese Überlegungen auf. "Die pro-europäische Front würde Gefahr laufen, gespalten zu werden, und das würde gegen meine Geschichte, unsere Überzeugungen und unsere Kämpfe verstoßen. Das kann ich nicht zulassen", erklärte er.

(APA/dpa)

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