Gegengift

Ulysses auf der Suche nach den letzten Tagen der Menschheit

1922 war ungeheuer produktiv für die Weltliteratur. Wen sollten wir hundert Jahre danach feiern? Wen haben wir vergessen?

Mit einem Exzess hat soeben der Lesezirkel „Homer und die Folgen“ das literarische Jahr 2022 im Gegengift eröffnet. Am 2. Februar 1922 erschien in Paris just zum 40. Geburtstag von James Joyce dessen „Ulysses“. Wir stritten also darum, ob tatsächlich Molly Blooms Schlussmonolog der Höhepunkt dieser alle Formen auskostenden Irrfahrt sei. Oder nicht vielmehr Kapitel neun, das enthüllt, wie Dichtung im reißenden Strom zwischen den Tücken von Skylla und Charybdis funktioniert.

Die Fans des Dubliner Wortklaubers waren ohnehin in der Defensive. Es sei eine Schnapsidee, behaupteten alle Romanisten, die Handlung eines 700 Seiten langen „Romans“ auf den 16. Juni 1904 zu reduzieren, der von Trinkern überall in der Welt inzwischen als Bloomsday gefeiert werde. Das beneble. Nie wisse man, wer gerade was erzähle. Um wie viel schöner seien die Jahre mit Marcel Prousts „À la recherche du temps perdu“. Gerade eben schien er die Zeit nach 2400 grandiosen Seiten wiedergefunden zu haben – schon starb er 1922 mit 51 Jahren in Paris. Auch Giovanni Verga, ein Erzähler mit genauem Blick und veristischer Methode, war damals dahingeschieden, mit 81, am Fuße des Ätna. Wer erinnert sich noch an seinen unvollendeten Zyklus „I vinti“?

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