Ukraine-Krise

Putin entsendet Truppen in die Ostukraine

Putin beim Unterzeichnen des Dekrets.
Putin beim Unterzeichnen des Dekrets.(c) imago images/ITAR-TASS
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Der Kreml-Chef erkennt die Unabhängigkeit der Separatistengebiete an und schickt russische Truppen dorthin. In einer Brandrede spricht er der Ukraine die Staatlichkeit ab und wirft Kiew vor, nach Atomwaffen zu streben.

Es war ein gespenstisches, genau geplantes Schauspiel: Der russische Präsident ließ sich vor Fernsehkameras von Mitgliedern des nationalen Sicherheitsrates bitten, ja fast anflehen, den prorussischen Separatistengebieten in der Ostukraine beizustehen. Dann, einige Stunden später, erfüllte er ihren Wunsch: Er kündigte an, die Unabhängigkeit der beiden „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk anzuerkennen.

Nur Stunden später entsendet Putin Truppen dorthin. Die Einheiten sollen in Gebieten für Frieden sorgen, so der Wortlaut eines Dekrets, das der Kremlchef in der Nacht auf Dienstag in Moskau unterzeichnet hat. Wann die Soldaten entsendet werden, war zunächst unklar. Zudem wies Putin das Außenministerium an, diplomatische Beziehungen zu den beiden Regionen aufzunehmen, die völkerrechtlich zur Ukraine gehören.

Mit der formellen Anerkennung ihrer Unabhängigkeit spaltet Moskau die beiden „Volksrepubliken“ de facto endgültig von der Ukraine ab. Das Minsker Abkommen, das zu einer Aussöhnung zwischen der Regierung in Kiew und den Separatisten führen sollte, ist damit Makulatur. Sollte Kiew nun ebenfalls Soldaten entsenden, um seine territoriale Souveränität zu verteidigen, würde es in die Falle gehen. Dann hätte Russland einen Vorwand für eine umfassende Militäraktion.

Tiraden gegen Ukraine

Gespenstisch war auch die Fernsehrede, mit der Putin dann am Abend die Anerkennung der Separatistengebiete begründete. Er stellte dabei die Staatlichkeit des Nachbarlandes Ukraine an sich in Abrede. Sie habe nie „eine eigene Staatstradition“ besessen. Der Osten der Ukraine sei altes russisches Gebiet – und die moderne Ukraine vom kommunistischen Russland erschaffen worden, behauptete der Kremlchef. Das „Regime in Kiew“ sei vom Westen gelenkt. „Verstehen die Ukrainer überhaupt, dass ihr Land zu einer Kolonie mit einem Marionettenregime gemacht wurde?“, donnerte Putin. Er sprach von oligarchischen Clans, die die Ukraine beherrschten und davon, dass in dem Land „Nationalismus“ und „Korruption“ grassierten. Der russische Präsident verstieg sich sogar zu der bizarren Anschuldigung, die Ukraine versuche, an Atomwaffen zu gelangen. Dies komme Vorbereitungen für einen Angriff auf Russland gleich, sagte Putin – und sprach damit de facto eine gefährliche Drohung gegen das kleine Nachbarland aus.

In seiner Rede rechnete er aber auch mit der Nato ab. Die Allianz habe schon bei ihrer Osterweiterung die Bedenken Russlands komplett ignoriert, sagte Putin. „Sie haben auf uns gespuckt.“
Nach seiner Brandrede unterzeichnete der russische Präsident vor den Fernsehkameras ein Dekret, mit dem die Anerkennung der beiden „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk in die Wege geleitet werden soll.

Militärische Spannungen

Parallel zu dieser politischen Eskalation verschärfen sich auch die militärischen Spannungen. Schon seit Tagen toben Gefechte zwischen prorussischen Milizen in der Ostukraine und dem ukrainischen Militär. Die Zahl der Verletzungen der Waffenruhe sei massiv angestiegen, melden Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Nun haben die Spannungen aber eine neue, gefährliche Dynamik erhalten. Denn Moskau behauptete am Montag, ukrainische Kräfte seien auch auf russischem Territorium aktiv geworden. Eine Granate, die von ukrainischem Gebiet abgeschossen worden sei, habe in der Region Rostow eine Grenzeinrichtung zerstört, berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf den russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Personen seien dabei aber nicht zu Schaden gekommen.

Etwas später meldeten russische Nachrichtenagenturen, Russlands Armee habe fünf „Saboteure“ getötet, die aus der Ukraine auf russisches Gebiet eingedrungen seien. Bei der Aktion Montagfrüh hätten zudem ukrainische Militärfahrzeuge versucht, die Grenze zu überqueren. Der ukrainische Militärsprecher, Pawlo Kowaltschuk, wies diese russischen Angaben als „Fake News“ zurück.

Die USA und vor allem Großbritannien werfen Russland schon seit einigen Wochen vor, einen Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine zu suchen. Dabei würde Moskau auch auf Desinformation zurückgreifen und auf sogenannte False-Flag-Operationen. US-Medien berichteten unter Berufung auf Regierungsquellen in Washington, Russlands Streitkräfte würden mit ihren Vorbereitungen für eine Attacke auf die Ukraine fortfahren und weitere Einheiten in Angriffspositionen an der Grenze verlegen. Zugleich warf Russlands Verteidigungsminister, Sergej Schoigu, der Ukraine vor, Truppen zusammenzuziehen – und zwar für einen Angriff auf die prorussischen Separatistengebiete.

EU und USA antworten mit Sanktionen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen twitterte am späten Montagabend, die Anerkennung der beiden Separatistengebiete in der Ukraine sei ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht, die territoriale Integrität der Ukraine und die Vereinbarungen von Minsk.

Die neu angekündigten Sanktionen sollen diejenigen treffen, die an der Handlung beteiligt seien, erklärte sie gemeinsam mit  Ratspräsident Charles Michel. Was für Sanktionen nun verhängt werden, blieb zunächst offen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte bereits vor der russischen Anerkennung darauf hingewiesen, dass ein Sanktionspaket mit verschiedenen Komponenten vorbereitet wurde.

Die USA gaben bekannt, Sanktionen gegen die Separatistengebiete in der Ostukraine zu verhängen. Sie richten ihren Fokus auf die "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk. US-Präsident Joe Biden werde eine entsprechende Anordnung für Sanktionen erlassen, teilte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, mit. US-Außenminister Antony Blinken erklärte: "Die Anordnung (von US-Sanktionen) soll Russland daran hindern, von dieser eklatanten Verletzung des Völkerrechts zu profitieren." Das Weiße Haus betonte, dass diese Maßnahmen sich von jenen Sanktionen unterscheiden, die im Falle eines russischen Einmarsches in die Ukraine mit den Verbündeten vereinbart seien.

UNO-Generalsekretär António Guterres verkündete, Russland würde mit seinen Handlungen gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoßen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warf Russland am Montagabend ein weiteres Anheizen der Spannungen in der Ostukraine vor. "Moskau befeuert den Konflikt in der Ostukraine, indem es die Separatisten finanziell und militärisch unterstützt.“ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats als Reaktion. Auch Großbritanniens Regierung meldete sich noch am Montagabend zu Wort. Die Verletzung internationaler Vereinbarungen durch Moskau werde nicht ungestraft bleiben, warnte Außenministerin Liz Truss. Für Donnerstag war eigentlich ein Treffen des russischen Außenministers, Sergej Lawrow, mit US-Außenminister Antony Blinken in Genf geplant. Dabei hätte auch über einen möglichen Gipfel zwischen Putin und US-Präsident Joe Biden verhandelt werden sollen.

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