Gastkommentar

Russisches Gas: Gelingt uns jetzt der kalte Entzug?

(c) Peter Kufner
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Ukraine-Krieg. Die Sanktionen der EU gegen Russland haben erhebliche Lücken. Österreich könnte sehr wohl auf russisches Gas verzichten.

Putins Russland führt einen Angriffskrieg in der Ukraine. Dass die Ukraine ein tiefes Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen hatte und nicht der von Russland gegründeten Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft beigetreten war, passte nicht in das Konzept des russischen Präsidenten. Und schon gar nicht ertrug er den Gedanken, die Ukraine könnte sich unter den atomaren Schutzschirm der Nato begeben.

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Zusätzlich zu den schon existierenden Sanktionen will die EU nun den russischen Finanzsektor mit neuen Sanktionen belegen, um die Finanzierung des militärindustriellen Komplexes zu er-schweren. 70 Prozent des russischen Bankensektors sollen so getroffen werden. Die EU will den Export von Hochtechnologiegütern nach Russland untersagen, so dass Ersatzteile für Flugzeuge oder andere Maschinen fehlen. Die Vergabe von Reisevisa soll eingeschränkt werden. Man will gezielt Personen treffen, die mit dem Überfall zu tun haben. Die USA, das Vereinigte Königreich und Verbündete in Asien verhängen ähnliche Maßnahmen. Zunächst soll Russland aber nicht vom globalen Zahlungsverkehrssystem Swift ausgeschlossen werden, und es wird auch noch keinen Importstopp von Gas geben.

Werden diese Maßnahmen einen Politikwechsel in Moskau hervorbringen? Angesichts der Forschung zu Wirtschaftssanktionen muss man skeptisch sein. Sie führen nur in 30 bis 40 Prozent aller Fälle zu einem Politikwechsel im sanktionierten Land, und wenn, dann dauert es lang. Wirksame Sanktionen müssen umfassend sein, und zwar in zweifacher Hinsicht. Sie müssen erstens von einer möglichst großen Koalition vorangetrieben werden, und sie müssen zweitens den Großteil des wirtschaftlichen Austausches unterbinden. Hier scheitert der Wes-ten aber: China, schon jetzt nach der EU der zweitgrößte Handelspartner Russlands, macht nicht mit. Es wird von Umgehungsgeschäften der westlichen Sanktionen wirtschaftlich profitieren. Und die „zielgerichteten“ Sanktionen, von denen die EU-Kommission spricht, haben erhebliche Lücken. Rohstoffexporte, die für Russland der wichtigste Devisenbringer sind, bleiben zunächst außen vor. Hier scheitert die EU an ihrer Abhängigkeit von russischem Gas. Wenn Russland keinen Zugang zu Swift hat, dann würden alle Handelsgeschäfte betroffen, auch die von Drittstaaten, die keinen Zugang zu alternativen Zahlungssystemen haben.

Außerdem ist belegt, dass Sanktionen gegen große Autokratien, mit denen keine Freund-schaftstradition besteht, selten funktionieren. Denn in Autokratien steht nicht die Mehrung des Wohlstands der Bevölkerung im Vordergrund, sondern die Sicherung der Macht des Regimes. Und die Größe und Diversität des eigenen Binnenmarktes wirkt wie eine Versicherung gegen Handelseinschränkungen von außen. In der Tat hat Russland in der Vergangenheit eigene Wirtschaftssektoren, zum Beispiel im Lebensmittelbereich, entwickelt, um sich so mit den Sanktionen des Westens zu arrangieren.

So passiert kein Rückzug

All das legt nahe, dass die Maßnahmen nicht zu einem Rückzug Russlands aus der Ukraine führen werden. Das heißt nun aber nicht, dass sie nicht trotzdem richtig sind. Denn der Vergleichszustand ist ja nicht die Vergangenheit, sondern eine alternative Realität, in der es im aktuellen Kontext keine Sanktionen gibt. In einer solchen kontrafaktischen Situation könnte Russland noch viel rücksichtsloser vorgehen.

Außerdem sind mit Sanktionen verschiedene Ziele verbunden. Ja, der Politikwechsel im sanktionierten Land ist ein Ziel. Aber gleichzeitig geht es auch darum, Glaubwürdigkeit aufzubauen, um in anderen Fällen erfolgreich drohen zu können. Und es geht auch schlicht darum, es dem Aggressor schwer zu machen, aus seiner Beute maximalen Nutzen zu ziehen.

So groß die Zweifel über die politische Wirkung von Sanktionen sind, ihre wirtschaftlichen Effekte sind sehr gut belegt. Sanktionen kosten immer beide Seiten Wohlstand. Berechnungen des Wifo zeigen, dass die im Jahr 2014 verhängten Sanktionen das BIP der EU pro Jahr um 20 Milliarden Euro (in Preisen des Jahres 2014) gesenkt haben. Über die Jahre ihrer Anwendung gerechnet, kommen so 160 Milliarden Euro zusammen. In Russland ist die Rechnung noch deutlich höher, die jährlichen Kosten betragen dort circa 35 Milliarden Euro. Und weil die russische Volkswirtschaft nur etwa ein Achtel der Größe der EU hat, machen die jährlichen Belastungen für Russland in etwa zwei Prozent des BIPs aus, in der EU jedoch nur 0,2 Prozent.

Wie teuer das neue Sanktionsregime für uns und die Russen wird, hängt im Wesentlichen nur davon ab, ob Europa weiter Gas aus dem Osten bezieht. Abseits des Rohstoffhandels sind die Importe aus Russland beinahe vernachlässigbar. Und auch exportseitig steht, acht Jahre nach Verhängung der Krim-Sanktionen, Russland nur mehr auf Platz 16 der österreichischen Exportdestinationen.

Klar ist: Österreichs Wirtschaft wäre überdurchschnittlich stark von Beschränkungen von Erdgaslieferungen betroffen. Eine Analyse der EZB zeigt, dass ein Rückgang des Erdgas-Angebots um zehn Prozent die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung im Euroraum kurzfristig um etwa 0,7 Prozent dämpfen würde, in Österreich hingegen um 1,25 Prozent. Noch stärker wäre nur die Wirtschaft der Slowakei von einem solchen Angebotsschock betroffen (-1,6%). Eine Kurzstudie des IW Köln rechnet vor, dass ein Anstieg der Gaspreise um 50 Prozent über das bereits herrschende Rekordniveau hinaus die Inflation in Deutschland heuer um weitere 2,5 Prozentpunkte und im Jahr 2023 um 2,8 Prozentpunkte nach oben treiben würde, das reale BIP hingegen um 0,6 beziehungsweise 1,4 Prozent nach unten. Österreich wäre wohl ähnlich betroffen. Nur die Nachholeffekte nach der Coronakrise könnten vor einer Rezession bewahren.

Andere Gasquellen anzapfen

Langfristig sieht die Sache aber anders aus. Eine Analyse des IfW Kiel zeigt, dass Österreich auf russisches Gas verzichten kann, ohne wirtschaftlichen Schaden zu nehmen; die heimische Wertschöpfung könnte sogar leicht höher sein, wenn es gelingt, Alternativen für russisches Gas zu entwickeln. Dazu wäre aber notwendig, schnell und massiv andere Gasquellen anzuzapfen und die Energiewende drastisch zu beschleunigen.

Das ist ohnehin notwendig, um die klimapolitischen Ziele zu erreichen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse sollte sich Österreich gemeinsam mit der EU sofort und unter Einsatz der erforderlichen finanziellen Mittel dafür engagieren. Dazu gehören das Einlagern von Gas für den nächsten Winter, notfalls mit staatlicher Unterstützung, die Entwicklung von Energiepartnerschaften mit Ländern, in denen günstiger Solar- und Windstrom für die Erzeugung von grünem Gas verwendet werden kann, und ein rascher Ausbau des europäischen Binnenmarktes für Energie. Diese Dinge wurden zu lang verschleppt.

Hier muss es endlich vorangehen – wann, wenn nicht jetzt?

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Gabriel Felbermayr (*1976 in Steyr), Studium der VWL an der Kepler-Universität Linz und Ph.D. in Florenz. Er war von 2019 bis 2021 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und ist seit 1. Oktober 2021 Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Er ist zudem Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2022)

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