Ukraine

Tschernobyl-Stromausfall vorerst "überschaubares Problem"

APA/AFP/GENYA SAVILOV
  • Drucken

Die staatliche ukrainische Atomenergiefirma Energoatom warnt: Die Stromzufuhr des Kraftwerks sei gekappt worden, daher könnten radioaktive Substanzen austreten. Ein Wiener Experte beruhigt vorerst.

Die staatliche ukrainische Atomenergiefirma Energoatom warnt davor, dass radioaktive Substanzen aus dem Akw Tschernobyl austreten könnten. Der Stromanschluss des Kraftwerks sei gekappt worden und darum könne verbrauchter Kernbrennstoff nicht gekühlt werden. Arbeiten zur Wiederherstellung der Verbindung und der Stromversorgung der von russischen Soldaten besetzten Anlage seien wegen der anhaltenden Kämpfe nicht möglich, hieß es.

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatte zuvor schon beklagt, dass das durch die Katastrophe von 1986 bekannte ehemalige AKW zunehmend von der Außenwelt abgeschnitten sei. Der Behörde zufolge sind 210 Techniker und lokale Sicherheitsmitarbeiter seit fast zwei Wochen ununterbrochen im Dienst, weil es unter russischer Kontrolle keinen Schichtwechsel mehr gegeben habe.

Wiener Strahlenphysiker sieht „überschaubares Problem"

Dass offenbar jene Stromleitung unterbrochen wurde, die das Atomkraftwerk Tschernobyl versorgt, sei zwar beunruhigend, für den Unglücksreaktor selbst aber ein "überschaubares Problem". Das ist die erste Einschätzung des österreichischen Strahlenphysikers Georg Steinhauser. Das Blackout in der abgeschotteten Region verstärke aber das harte Leben für die Menschen dort weiter. Sorgen machen dem Experten AKWs unter militärischem Druck.

Um den 1986 zerstörten Block 4 in Tschernobyl liegt eine relativ neue Schutzhülle. "Das ist eigentlich ein Hightech-Gerät mit einer doppelten Stahlhülle", zwischen denen die Luft abgesaugt wird. Kappt man nun die Stromversorgung fällt dieser Mechanismus aus. Das sei aber unmittelbar kein größeres Problem, weil der Unglücksreaktor nun bereits so lange Zeit quasi "dahindämmere", erklärte Steinhauser.

Ausrangierte Brennelemente

Das größere Problem ist die Funktion der Anlage als eine Art Zwischenlager für die ausrangierten Brennelemente der anderen Tschernobyl-Reaktoren. Just im März hätte der Ausbau zu einer zentralen Sammelstelle für abgebrannte Brennstoffe aus anderen ukrainischen Atomanlagen gestartet werden sollen, so der Experte. Ein Vorteil sei nun, dass der letzte Reaktor in Tschernobyl bereits im Jahr 2000 vom Netz genommen wurde. "Das heißt, dass dieser jetzt auch nur mehr eine geringe Wärmeleistung hat", erklärte Steinhauser: "Ich traue mich nicht, es zu versprechen, würde es aber nicht so einschätzen, dass die Brennelemente thermischen Schaden nehmen, selbst wenn die Kühlung ausfällt."

Mehr Sorge bereitet dem an der Universität Hannover tätigen Strahlenphysiker, dass die jüngsten Vorkommnisse etwa im Kernkraftwerk Saporischschja vergangene Woche, gewissermaßen Schule machen und solche Anlagen stärker in den militärischen Fokus geraten und plötzlich außerhalb "ihrer staatlichen Kontrolle" liegen. Ein Blackout für andere, noch aktive AKWs würde jedenfalls eine "ernstere Situation" nach sich ziehen.

Experten müssen eigenverantwortlich entscheiden können

Beim Fahren eines Reaktors müssen Experten eigenverantwortlich nach ihrem technischen Verständnis Entscheidungen treffen können. Gehe eine Situation in Richtung Abschaltung dürfe den Operateuren "niemand dreinreden". Das sei ein Grundprinzip in der nuklearen Sicherheit. Stehe so jemand aber unter militärischem Druck, vielleicht Entscheidungen zu treffen, die man in Friedenszeiten so nicht treffen würde, "ist das einfach ein Risiko - da bin ich schon besorgt", sagte Steinhauser.

Das Leben in Tschernobyl "stellt schon in Friedenszeiten eine gewisse Herausforderung dar", betonte der Forscher. Er erkläre Studenten vor Aufenthalten dort immer wieder, dass es dort nur eine Minimalinfrastruktur gibt. "Man kann froh sein, wenn aus der Wasserleitung heißes Wasser kommt. Ich vergleiche das mit 'Indoor-Camping'." Gehe in einem solchen Umfeld auch noch das Licht und die Heizung aus, "wird es für die Belegschaft sehr schnell sehr ungemütlich".

Dort arbeiten Zivilisten, die laut Medienberichten nun schon seit rund zwei Wochen durchgehend unter russischer Besatzung im Dienst sind. Den harschen Bedingungen vor Ort wird im Normalfall jedoch damit Rechnung getragen, dass die Menschen eine Vier-Tage-Woche haben und dann abgelöst werden. "Ich bin mir nicht sicher, wie lange man das noch mit einer vernünftigen Arbeitsleistung in Einklang bringen kann", sagte Steinhauser.

In Tschernobyl kam es 1986 zu einem verheerenden Atomunfall. Noch heute werden dort radioaktive Abfälle gelagert. Bisher sind auch ein weiteres AKW in Saporischschja und einige andere Einrichtungen mit Beständen von Nuklearmaterial von der russischen Invasion betroffen. Es ist jedoch zu keinem Austritt von radioaktivem Material gekommen.

(APA/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.