Ukraine-Krieg

Evakuierungsversuche für Mariupol angelaufen: Kiew sendet 45 Busse

Aus der südukrainischen Hafenstadt Mariupol sollte am Donnerstag ein Fluchtkorridor für Zivilisten führen.
Aus der südukrainischen Hafenstadt Mariupol sollte am Donnerstag ein Fluchtkorridor für Zivilisten führen.REUTERS
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"Wir glauben niemandem, keiner einzigen schönen Phrase“, sagt der ukrainische Präsident. Mariupol und Tschernihiw stehen offenbar weiter unter Beschuss. Auch rund um Kiew gehen die Kämpfe weiter.

Nach der russischen Ankündigung einer Feuerpause für Mariupol sind die Evakuierungsbemühungen angelaufen. Kiew schickte am Donnerstag dutzende Busse, um damit Zivilisten aus der belagerten Hafenstadt im Süden zu bringen. Die Nato erklärte, trotz der Ankündigung Moskaus sehe sie keinen Truppenrückzug um die Hauptstadt. Nach Einschätzung des ukrainischen Staatschefs Wolodymyr Selenskij gruppieren sich die russischen Streitkräfte um, damit sie im Osten stärker angreifen können.

In der vergangenen Nacht sei die ukrainische Regierung vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) informiert worden, "dass Russland bereit ist, den Zugang für humanitäre Konvois aus Mariupol zu öffnen", schrieb Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Donnerstagvormittag im Onlinedienst Telegram. Kiew habe 45 Busse in die Region gesendet.

Das Rote Kreuz teilte mit, es bereite sich darauf vor, am Freitag die sichere Ausreise von Zivilisten aus der Stadt zu ermöglichen. Das russische Verteidigungsministerium hatte am Vortag eine Feuerpause für die Hafenstadt angekündigt. Diese sollte den Angaben zufolge am Donnerstag ab 10 Uhr Ortszeit (09 Uhr MESZ) gelten.

Von der Versorgung abgeschnitten

Frankreich forderte einen längeren Waffenstillstand in Mariupol, damit humanitäre Hilfe geleistet werden kann. Die von Russland zugesagten wenigen Stunden Feuerpause reichten für eine Evakuierung nicht aus, hieß es am Donnerstag aus dem Amtssitz von Präsident Emmanuel Macron. Frankreich bestehe darauf, dass die Bedingungen des humanitären Völkerrechts eingehalten werden und die Sicherheit der beteiligten internationalen Organisationen gewährleistet werde.

Mariupol ist seit Wochen von jeglicher Versorgung abgeschnitten und wird von den russischen Streitkräften heftig beschossen. Die Stadt ist mittlerweile weitgehend zerstört, rund 160.000 Bewohner sollen aber weiterhin dort festsitzen. Nach ukrainischen Angaben wurden dort mindestens 5000 Menschen seit Beginn der russischen Angriffe vor mehr als einem Monat getötet.

Nato warnt vor weitere Angriffen auch rund um Kiew

Ungeachtet der Ankündigungen Russlands, seine Truppen im Norden "radikal" zu reduzieren, erwartet die Nato weitere Angriffe in der Ukraine. Nach Erkenntnissen des Bündnisses "ziehen sich russische Einheiten nicht zurück, sondern positionieren sich neu", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Russland halte den Druck auf Kiew und weitere Städte aufrecht. Es sei "also mit weiteren Offensivaktionen" zu rechnen, fügte Stoltenberg hinzu.

Russland versuche "höchstwahrscheinlich", seinen Einsatz in der Donbass-Region umzugruppieren und zu verstärken. Ähnlich hatte sich Selenskij am Mittwochabend geäußert und vor einer verstärkten Offensive der Russen im Donbass gewarnt. "Wir glauben niemandem, keiner einzigen schönen Phrase", sagte der Staatschef in seiner abendlichen Ansprache.

Wieder vereint, nachdem sie aus ihrer Heimatstadt Tschernihiw fliehen mussten.
Wieder vereint, nachdem sie aus ihrer Heimatstadt Tschernihiw fliehen mussten.(c) REUTERS (CLODAGH KILCOYNE)

Russland hatte in dieser Woche angekündigt, Militäraktivitäten in der Region um die ukrainische Hauptstadt Kiew und in der Gegend um die Stadt Tschernihiw im Norden der Ukraine deutlich zurückzufahren. Mit neuen Angriffen auf Tschernihiw sowie Mariupol im Süden machte Russland dann aber Hoffnungen auf eine Entspannung der Lage zunichte. Die USA hatten bereits am Dienstag gewarnt, es handle sich nicht um einen "Rückzug" russischer Truppen, sondern um eine "Neupositionierung". Es drohe eine "Großoffensive gegen andere Regionen in der Ukraine".

Militärexperten sind jedoch der Ansicht, dass Moskau angesichts von tausenden getöteten und verletzten Soldaten keine andere Wahl hat, als die Bemühungen um einen gleichzeitigen Vormarsch entlang mehrerer Achsen im Norden, Osten und Süden aufzugeben.

Aus Tschernobyl zurückgezogen

US-Militärs sagten, dass die russischen Streitkräfte sich aus der Region um das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl zurückzogen. Sie seien in Richtung der Grenze zu Belarus aufgebrochen, heißt es in einer Erklärung des staatlichen Betreibers Energoatom. Es befänden sich nun nur noch einige wenige Soldaten auf dem Gelände. Die UNO-Atomaufsichtsbehörde IAEO wird nach ukrainischen Angaben die von russischen Truppen besetzten Atomkraftwerke Tschernobyl und Saporischschja kontrollieren. Dazu würden Online-Überwachungseinsätze organisiert.

Der russische Präsident Wladimir Putin betonte indes, dass die Bedingungen für einen Waffenstillstand im Ukraine-Konflikt vorerst nicht vorhanden sind. Es sei noch verfrüht, über ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij nachzudenken, sagte Putin bei einem Gespräch mit dem italienischen Premier Mario Draghi am Mittwochnachmittag, wie der italienische Premier bei einer Pressekonferenz mit Auslandkorrespondenten in Rom berichtete.

Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland über eine diplomatische Beilegung des Konflikts sollen dem ukrainischen Unterhändler David Arachamia zufolge am Freitag per Online-Schaltung fortgesetzt werden. Zuletzt hatten die Unterhändler am Dienstag in Istanbul in direkter Begegnung miteinander verhandelt, ohne dass ein Durchbruch erzielt werden konnte.

(APA/dpa/AFP)

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