Politologie

Warum es bald keine Kriege mehr geben wird

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Christopher Blattman betont in seinem Buch „Why We Fight“, wie selten es zu Krieg kommt. Dass künftig auch ein Putin keine Chance mehr damit hat, erwartet John Mueller.

Das ist kühn: Da sehen wir jeden Tag verstörende Bilder von zerbombten Häusern und Leichen am Straßenrand. Da drängt sich uns die düstere Ahnung auf, durch die ganze Menschheitsgeschichte ziehe sich eine breite, blutige Spur, die nie austrocknen werde. Und dann kommt, ausgerechnet jetzt, ein Buch auf den Tisch, das ebendies frohgemut negiert: Krieg, erklärt uns Christopher Blattman, ist die seltene Ausnahme, und wir wissen im Grunde, wie wir ihn vermeiden können.

Hat der kanadische Ökonom und Konfliktforscher ein denkbar schlechtes Timing für „Why We Fight“ erwischt, das soeben auf Englisch erschienen ist? Oder vielmehr das allerbeste – weil er uns aus dem Panikmodus holt, uns einlädt, durchzuatmen und mitten im Granatennebel wieder klarer zu sehen?

Blattman ist nicht naiv. Er behauptet nicht, dass wir uns laufend lieb haben. Im Gegenteil: Reibereien, konträre Interessen, Gegnerschaft bis zum Hass gibt es immerzu und allerorten. Aber nichts können wir Menschen besser als Konflikte beilegen und Kompromisse schließen. Das machen wir ständig: Wir vermeiden Streiks, Gerichtsprozesse – und Krieg. Weil wir erkennen, dass blutiger Kampf am Ende nichts bringt, zu kostspielig ist, materiell wie psychisch, dass er nur kaputtmacht, auf beiden Seiten.

Wie wir uns einigen, zeigt Blattman anhand der Spieltheorie, mit einfachen Szenarien. Das trockene Kalkül reichert er mit saftigen Anekdoten aus seiner Feldforschung an, über Gangs in Chicago und Warlords in Afrika. Wer hätte etwa gedacht, dass in Medellín, der Hochburg der kolumbianischen Drogenmafia, die Mordrate niedriger ist als in den meisten Großstädten der USA? Was zeigt: Selbst solch sinistere Gemeinschaften, deren Geschäftsmodell auf Gewalt basiert, gehen Bandenkriegen aus dem Weg.

So war es immer, auch wenn die Geschichtsbücher anderes suggerieren – weil sie von dem einen Krieg, der einen blutigen Revolte erzählen, aber nicht von den tausend, die vermieden wurden, durch Verträge, Zugeständnisse, Geld. Krieg ist also eine Art Unfall. Warum passiert er?

Eine populäre These ist: weil es am Konfliktherd zu viel Armut und Ungerechtigkeit gibt. Aber das ist wieder falsch gedacht, befindet Blattman: Auch an solchen Orten geht es die meiste Zeit friedlich zu. Kriege brechen nur unter sehr speziellen Umständen aus, fünf an der Zahl. Damit stellt der Forscher keine neue Theorie des Kriegs auf. Er steckt nur einen praktikablen Rahmen ab, in den alle relevanten Theorien passen sollen.

Fünf Gründe für Russlands Krieg

Die Faktoren lassen sich jedenfalls gut auf den Ukraine-Krieg anwenden. „Unsicherheit“: Putin wusste nicht, wie schlagkräftig die ukrainische Armee ist. „Fehleinschätzung“: Er glaubte, die Ukrainer würden seine Soldaten als Befreier begrüßen, und der dekadente Westen würde uneins und windelweich reagieren. „Probleme mit Zusagen“: Was nützt es, mit Russen zu verhandeln, wenn sie alle Vereinbarungen brechen? Aber das sind eher formale Fallen.

Tiefer wurzeln die zwei übrigen Gruppen von Gründen. Es gibt „unkontrollierte Interessen“: Der Autokrat will seine Macht absichern, tote Soldaten und wirtschaftliche Nöte sind ihm egal. Er profitiert vom Krieg, unter dem sein Volk leidet. Damit die Russen mitziehen, setzt Putin Propaganda ein, schürt Nationalstolz und Angst vor dem angeblichen Feind.

Hier stürzt das spieltheoretische Kartenhaus ein: Es gibt nicht nur materielle Gründe für oder gegen Krieg, nicht nur Saldos aus Kosten und Nutzen. Es gibt auch ideelle oder irrationale Motive. Sie können hehr sein, wenn die Ukrainer für ihre Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzen. Oder übel, wenn Putin in blindem Hass auf den Westen jede Vernunft sausen lässt. Nur eines schließt Blattman aus: einen angeborenen Blutdurst des Homo Sapiens – auch wenn er die Stimmung miterlebt hat, die etwa Hooligans zu Gewaltausbrüchen treibt.

Wie lassen sich die Fallen vermeiden? Leider hilft der zweite Teil des Buchs aktuell nicht weiter: Wenn Blattman von „fragilen Gesellschaften“ schreibt, in denen die zarten Pflänzchen des Rechtsstaats geduldig zu gießen sind, denkt er an Afrika, nicht an das von Atomwaffen strotzende Russland mit seiner modernen Diktatur. Welches Kraut ist dagegen gewachsen?

Wohl nur jenes, das der US-Politologe John Mueller Anfang der Neunzigerjahre beschrieben hat. Damals stand seine Zunft vor der frohlockenden Frage: Warum hat es zwischen den hoch entwickelten Staaten seit Jahrzehnten keinen einzigen Krieg mehr gegeben, das erste Mal seit dem Imperium Romanum? Wegen des apokalyptischen Drohpotenzials? Mueller machte plausibel, dass der Frieden auch ohne Atombomben gehalten hätte. Weil der Schock über die Weltkriege so tief saß? Der Dreißigjährige Krieg war zerstörerischer, zumindest relativ gemessen, und trotzdem ging das Schlachten danach bald weiter.

Auch Duelle sind ausgestorben

Nein, meinte Mueller: Was sich fundamental ändert, ist unsere Einstellung. Krieg gilt heute als so abstoßend, unmoralisch und unzivilisiert, dass wir ihn nur noch zur Selbstverteidigung akzeptieren. Er verschwindet langsam, so wie ein Jahrhundert früher, von Amerika ausgehend, das Duell verschwunden ist. Nicht etwa, weil es damals erst verboten oder strenger geahndet worden wäre. Sondern, weil die Jüngeren diese Schwarzbefrackten mit ihrem archaischen Ehrenkodex erst auslachten und dann verachteten. Heute ist diese Unkulturtechnik ausgestorben, so wie die Sklaverei.

Ist Putin womöglich der letzte große Kriegsherr, schon bald nur mehr eine groteske Witzfigur? Nach Lachen ist uns heute nicht zumute. Aber vielleicht klingt es aus der Zukunft schon leise herüber.

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