Amanshausers Welt: 217 Japan

Bei der Übernachtung im Green Plaza Shinjuku, einem Tokioter Kapselhotel, in der Kapsel Nummer 3017, war ich froh, kein einziges Tattoo zu haben.

Tokio, auf eigene Faust, ohne Begleitung, unter anderem, um die seltsamste aller Hotelvarianten kennenzulernen. Kapselhotels sind Schlafstätten, in denen man für wenig Geld in einer zwei Meter mal 80 Zentimeter großen Schubladeübernachtet, rundherum Plastikverschalung. Die
Kapsel ist für Leute, die sich kein Love-Hotel oder Business-Hotel leisten können (die Namen
für billige Hotels, auch wenn sie weder mit
Liebe noch mit Geschäft zu tun haben), oder für außerhalb Wohnende, die nach einem Gelage ein paar Stunden ruhig verbringen wollen, bis wieder eine S-Bahn fährt – meist Männer.


Ich hatte das Green Plaza Shinjuku Capsule Hotel gefunden, hatte die Sicherheitstafeln gelesen, auf denen erklärt wurde, dass Tattoo-Träger unwillkommen waren – kein Problem für mich –, und schritt nun auf die Rezeption zu. Da saß ein alter Kerl mit zerfurchtem Gesicht, der bei meinem Anblick den Kopf schüttelte. Er sprach nur ein Wort Englisch. Er hielt mir die flache Hand hin. Pass? „No!“ Geld? „No! No!“ Der Alte blickte mir in die Augen und schüttelte den Kopf. Es bedeutete offensichtlich, dass er mich nicht einlassen wollte. Ich hob beide Arme, um gestisch die Frage „Warum?“ auszudrücken. Es konnte doch nicht sein, dass ich wegen meines nicht japanischen Aussehens aus rassischen Gründen abgewiesen wurde! Der Alte erhob sich um ein paar Zentimeter und deutete an meinem Körper nach unten. Endlich begriff ich:
die Schuhe! Niemand trug Schuhe. Wohin mit meinen? Er zeigte in eine Richtung.

Zwei Minuten später händigte ich ihm den Schlüssel für das Schuhschließfach aus, den er, ohne zu nicken, entgegennahm, mir aber immerhin im Gegenzug Hausschuhe und einen anderen Schlüssel aushändigte – den zu meiner Kapsel? Ich machte zwei Schritte auf den Eingang zu, rechnete aber ohnehin bereits mit der Ablehnung: „No! No!“ Der Alte zeigte auf meinen Koffer und deutete in eine andere Richtung. Aha – das nächste Schließfach. Dort nahm ich einige Umräumungen vor, bis ich nur noch Pyjama, Zahnbürste und Computer dabeihatte.

Zurück an der Rezeption, nahm ich erstmals den Anflug eines Lächelns im Gesicht des alten Mannes wahr. Ich gab ihm den zweiten Schlüssel und erhielt im Austausch dafür einen dritten Schlüssel, Nummer 3017, gemeinsam mit einem gefalteten Bademantel, und dem ganz unmissverständlichen Handzeichen, dass ich mich nun zu meiner Kapsel begeben solle.

Meine Kapsel war eine im Erdgeschoß, das heißt, in der unteren Reihe. Die Kapseln sahen wirklich aus wie diese Schubladen in den „Tatort“-Filmen, in denen Leichen zwischengelagert werden. Im Unterschied zu Letzteren hatten sie allerdings einen Fernseher. Ich kroch hinein und schloss den Rollladen hinter mir. Der Sender übertrug Szenen aus dem japanischen Parlament.

Die Kapsel begann jetzt zu wackeln, und ich musste dem oberen Nachbarn zuhören, der weiß ich was tat.

TIPP

Martin Amanshauser, „Logbuch Welt“, 52 Reiseziele, www.amanshauser.at

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