Misstrauensvotum gegen Johnson noch heute möglich

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Der britische Regierungschef gilt nach neuem Skandal und zwei Ministerrücktritten als stark angeschlagen. Der Konservative will aber bleiben.

Nach der Rücktrittswelle in der britischen Regierung ist ein Misstrauensvotum gegen Premierminister Boris Johnson laut dem Bericht eines Sky-Reporters noch im Verlauf des heutigen Tages möglich. Die Regeln in der Konservativen Partei, die eine Vertrauensabstimmung für ein Jahr ausschließen, würden wahrscheinlich am Nachmittag geändert, schreibt der Journalist Tom Larkin auf Twitter unter Berufung auf einen Vertreter des sogenannten Komitees 1922 der Torys.

Dieses für Misstrauensvoten bei den Konservativen zuständige Gremium tritt am Nachmittag zusammen, wie ein Vertreter des Komitees der Nachrichtenagentur Reuters bestätigte. Allerdings hielte er es für besser, wenn hochrangige Minister Johnson zum Rücktritt bewegen würden, sagte er.

Das hat der Zeitung "Daily Mail" bereits mit Michael Gove einer der am höchsten gestellten Minister der britischen Regierung getan. Gove habe Johnson am Mittwochvormittag gesagt, dass er zurücktreten müsse, berichtete das Blatt. Gove war vor seinem Eintritt in die Regierung ein erklärter Rivale Johnsons. Der Minister fehlte zu Mittag im Parlament auf der Regierungsbank. Bisher ist aber nicht bekannt, dass er zurücktreten will. Der 54-Jährige hatte 2016 Johnsons Bewerbung zum Chef der Konservativen Partei torpediert, als er ihm seine Unterstützung entzog und selbst kandidierte.

Zuvor waren die Rücktrittsforderungen an Johnson immer lauter geworden. Mehrere Abgeordnete seiner Konservativen Partei sowie konservative Medien, darunter die Zeitung "Times", forderten den Regierungschef auf, sein Amt aufzugeben. Johnson zeigte sich im Parlament jedoch kämpferisch und kündigte an weiterzumachen. Nach einem hitzigen Schlagabtausch mit Abgeordneten im Parlament muss sich Johnson am Nachmittag auch noch einer Fragerunde von Vorsitzenden einiger Ausschüsse stellen.

Knapp 30 Rücktritte

Unterdessen stieg die Zahl der jüngsten Rücktritte in Johnsons Regierungsteam wegen Johnsons Verhaltens auf 28, wie der Sender Sky News berichtete: zwei Minister, Staatssekretäre und Staatssekretärinnen sowie weitere Amtsträger. Es wurden Zweifel laut, ob es Johnson überhaupt gelingen kann, die frei gewordenen Posten zu besetzen. Zuletzt traten am frühen Mittwochnachmittag gleich fünf Staatssekretärinnen und Staatssekretäre um die Gleichstellungsbeauftragte Kemi Badenoch auf einen Schlag zurück. Es werde immer deutlicher, dass die Regierung nicht mehr funktioniere, schrieben sie. Alle gelten als junge, aufstrebende Polittalente. Kurz danach folgte mit Mims Davies eine weitere Staatssekretärin.

Die Regierungskrise war am Dienstagabend mit den Rücktritten von Gesundheitsminister Sajid Javid und Finanzminister Rishi Sunak ausgelöst worden. Bisher sind aber alle anderen Minister noch im Amt.

Nach Zählungen von Denkfabriken waren bisher rund 150 konservative Abgeordnete in irgendeiner Form Mitglied der Regierung. Das ist gängige Praxis in Großbritannien. Mit den Ernennungen auf teils bezahlte, teils unbezahlte Posten wollen Premierminister die Fraktionsmitglieder eng an sich binden und parteiinterne Rebellionen im Keim ersticken. Dieser Plan dürfte nun für Johnson nicht mehr funktionieren.

Auslöser des neuerlichen Politbebens war, dass Johnson seinen Parteifreund Chris Pincher in ein wichtiges Fraktionsamt gehievt hatte, obwohl er von Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen ihn wusste. Er habe aber sofort gehandelt, als er von neuen Anschuldigungen gegen Pincher erfahren habe, behauptete der Premier. Davor war Johnson wegen mehrerer anderer Skandale und Affären in Bedrängnis geraten.

(AA/dpa/Reuters)

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