Ukraine

Tschernobyl: Schwere Vorwürfe gegen Russland

Examination around Chornobyl for Radioactivity Untersuchung um Tschornobyl auf Radioaktivität
Examination around Chornobyl for Radioactivity Untersuchung um Tschornobyl auf Radioaktivität(c) © Jeremy Sutton-Hibbert / Green (Jeremy Sutton-Hibbert)
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Ukrainische Behörden und Greenpeace beschuldigen russische Truppen, die radioaktive Belastung um das 1986 explodierte Atomkraftwerk Tschernobyl erhöht zu haben.

Brandstiftung in der „Exclusion Zone“ rund um die Atomruine von Tschernobyl, Grabungsarbeiten und minenverseuchtes Gelände: Die Vorwürfe der ukrainischen Atomaufsicht gegen russische Truppen wiegen schwer. Die Behörde hat Greenpeace um eine Begutachtung des Geländes gebeten. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse der viertägigen Mission in einer Pressekonferenz in Kiew präsentiert.

Die Arbeit gestaltete sich schwierig: Greenpeace schickte zunächst Drohnen über das Gelände und nahm samples von Luftproben in unterschiedlichen Höhen – 100 Meter, 35 und dann zehn Meter über dem Boden. Dabei zeigte sich kein einheitliches Bild, sondern genau das Gegenteil davon: Die radioaktive Belastung schwankte von Punkt zu Punkt, die Abweichungen waren sehr hoch. Das belegte dann auch die Begehung in der Nähe des Lagers der russischen Armee.

Sie hat das Gebiet um den Reaktor, der 1986 explodiert war und die radioaktive Belastung von weiten Teilen Europas verursacht hatte, am 24. Februar, am ersten Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, um die Mittagszeit unter ihre Kontrolle gebracht. Die Russen zogen Ende März wieder ab. Die Begehung war allerdings aus Sicherheitsgründen nur sehr eingeschränkt möglich: Das Gelände ist vermint.

In diesen fünf Wochen habe es zahlreiche Brände gegeben, „die gelegt worden sind“, so Yevhen Kramarenko, Chef der ukrainischen Agentur für das Management der „Exclusion Zone“ – eines etwa 2600 km² großen Gebiets rund um die Reaktorruine. Durch die neun Brände auf etwa 80 km² wurde die radioaktive Belastung erhöht: Einerseits durch die Bewegung der Truppen, indem gepanzerte, schwere Fahrzeuge den Boden regelrecht umpflügten und andrerseits Soldaten Schützengräben aushoben – und damit radioaktiv belastetes Erdreich freilegten und nach oben schaufelten. Ukrainische Behörden erklärten, dass es sich um etwa 600 russische Soldaten gehandelt habe.

„Verbrechen gegen Umwelt und Wissenschaft"

Ob sie gesundheitliche Schäden davongetragen haben, ist den ukrainischen Behörden nicht bekannt. Man wisse lediglich, dass sich kein russischer Soldaten mit Strahlenbelastung in einem Krankenhaus gemeldet habe. Bei ukrainischen Truppen gebe es keine Strahlenbelastung, „sie waren instruiert, wo man in dem Gelände wegen der Belastung nicht hingehen durfte“, so Kramarenko.

Dass die Russen die Verursacher der zusätzlichen Belastung sind, belege die Auswertung von Satellitenbildern, die Greenpeace Deutschland in Auftrag gegeben habe. Die Bilder zeigen Bodentruppen, die zu Fuß unterwegs sind, lange Konvois von Militär-Fahrzeugen und Abschussbasen für Raketen.

Tschernobyl ist in den vergangenen Jahrzehnten auch zu einem großen Zwischenlager für ausgebrannte Uran-Brennstäbe geworden. Zum Zeitpunkt des russischen Angriffs waren etwa 2000 Brennstäbe gelagert. Messungen von Greenpeace im Zwischenlager zeigen, dass die Belastungen bis zu viermal so hoch sind (verglichen mit der Dosis vor der Invasion).

Kramarenko wirft den Russen auch „Verbrechen gegen die Umwelt und die Wissenschaft“ vor, Im Detail begründet dies Serhiy Kireev, Generaldirektor des Labors und Analysezentrums „SSE Ecocenter“ (es gehört der Agentur für das Management der „Exclusion Zone“): „Wir haben in der Zone 36 Sensoren platziert. Nach fünf Tagen haben wir keine Daten mehr übermittelt bekommen.“ Kireev sagt außerdem, dass vorhandene Datensätze zerstört worden seien.

Kritik wird schließlich auch an der Atomaufsichtsbehörde (IAEA) geübt. Einerseits habe die Informationspolitik der Agentur die Belastung heruntergespielt. Agenturchef Kramarenko sagt nicht, dass es eine „bewusste Falschinformation“ gewesen sei, aber eine „nicht adäquate“. Shaun Burnie, Atomexperte von Greenpeace Deutschland, kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Rolle von Mikhail Chudakov, der einer der stellvertretenden Direktoren der IAEA ist. Chudakov war zuvor jahrelang in einer Funktion beim staatsnahen russischen Atomkonzern Rosatom. Burnie: „Man muss sich dessen Rolle genau anschauen, mehr sage ich dazu nicht“, so Burnie. Daran knüpft Thomas Breuer (ebenfalls Greenpeace Deutschland) an: „Damit die Behörde glaubwürdig auf die vielfältigen Gefahren der Atomenergie reagieren kann, muss sie künftig von einer Agentur zur Verbreitung von Atomkraft zu einer Überwachungsbehörde umgebaut werden.“

„Die Aufnahme von Atomenergie in die EU-Taxonomie ist ein großer Fehler“, sagt schließlich Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace in Österreich. „Atomenergie ist gefährlich, teuer und treibt die Länder, die Atomstrom nutzen, in die Abhängigkeit von kriegstreibenden Regimen wie Putins Russland. Die Zeit der Atomenergie ist vorbei. Die Investitionen in Erneuerbare müssen jetzt endlich massiv ausgebaut und angekurbelt werden.”

>> Bericht über die Auswertung der Satellitenbilder

>> Agentur für das Management der Exclusion Zone

>> SSE Ecocenter

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