Ausbruch

Wird die Gefahr von Affenpocken unterschätzt?

Spain Sets Up Monkeypox Testing Site As Cases on The Rise
Spain Sets Up Monkeypox Testing Site As Cases on The RiseGetty Images
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Während die Zahl der Infektionen steigt und die WHO die höchste Alarmstufe ausruft, wird in Österreich kalmiert. Mit Begründungen, die nur teilweise nachvollziehbar sind. Das größte Defizit ist wieder einmal die Kommunikation.

Auf 132 ist die Zahl der mit Affenpocken infizierten Personen in Österreich mittlerweile gestiegen. Für die WHO stellt der Ausbruch eine internationale Notlage dar, die Regierungen sollten rasch gezieltere und umfangreichere Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung ergreifen.

Mehr Einsatz im Kampf gegen die meldepflichtige Infektionskrankheit, die bisher zumeist unter Männern verbreitet ist, die Sex mit Männern haben, fordert auch Österreichs LGBTIQ-Community. Zu Recht?

Agiert Österreich bei der Bekämpfung der Affenpocken nachlässig?

Hinsichtlich Aufklärung und Bewusstseinsbildung ganz bestimmt – hauptsächlich deswegen, weil in den Affenpocken keine große Gefahr für die Allgemeinheit gesehen wird, schließlich handelt es sich dabei um keine hoch ansteckende Krankheit, die sich (wie Covid-19) unkontrolliert ausbreiten könnte.

Richtig an dieser Einschätzung ist, dass die Übertragung des Virus (aus der Familie der Orthopoxviren) tatsächlich nur durch direkten zwischenmenschlichen Kontakt erfolgt – dann, wenn Körperflüssigkeiten wie etwa Blut oder Genitalsekrete auf Schleimhäute treffen. Über die Haut ist eine Infektion nicht möglich. Am ansteckendsten ist die Körperflüssigkeit in den Bläschen bzw. Pusteln, die zumeist ohne Narben abheilen. Möglich, wenn auch unwahrscheinlich, ist eine Tröpfcheninfektion. Am häufigsten werden Affenpocken beim Sex übertragen, insbesondere beim gleichgeschlechtlichen unter Männern, weil es dabei häufiger zu kleineren Verletzungen im Genitalbereich kommen kann.

Das bedeutet aber selbstverständlich nicht, dass das Virus nur unter Männern zirkuliert, die Sex mit Männern haben – auf diesen Aspekt wird nach Meinung zahlreicher Ärzte nicht ausreichend hingewiesen, etwa im Zuge von Informationskampagnen in Medien. Auch innerhalb der LGBTIQ-Community findet de facto keine Aufklärung statt, um diese besonders gefährdete Gruppe zu sensibilisieren – dabei rät die WHO explizit zur zielgerichteten Kommunikation.

Die Gründe dafür liegen zum einen in der Sorge vor einer Stigmatisierung von Männern, die Sex mit Männern haben, weil damit zwangsläufig thematisiert werden müsste, dass sich bisher 98 Prozent der Infektionen unter ihnen ereigneten; zum anderen sind manche Berater des Gesundheitsministeriums tatsächlich der Ansicht, dass Affenpocken fast ausschließlich diese Personen betreffen und eine offensive Aufklärung der gesamten Bevölkerung nicht notwendig ist.

Nicht zuletzt will sich die Regierung angesichts einer pandemiemüden Bevölkerung auf keinen Fall dem Vorwurf des Aktionismus aussetzen und dem Ausbruch zu viel Bedeutung beimessen. Denn: Vor den jüngsten Infektionen gab es in Österreich jahrzehntelang keinen einzigen Fall von Affenpocken, obwohl die Erkrankung seit den 1950er-Jahren immer wieder auftaucht, zumeist in Afrika, wo sie auch – nach einer Übertragung von Affen bzw. Nagetieren auf Menschen – erstmals beschrieben wurde.

Warum konnten sich die Affenpocken diesmal so rasch ausbreiten?

Wegen einer Verkettung unglücklicher Umstände. Die Quelle des Ausbruchs ist ein Anfang Mai stattgefundenes Festival auf Gran Canaria, die Maspalomas-Party der Gay Pride, an der rund 80.000 Menschen aus der ganzen Welt teilgenommen haben – Menschen, die in den Tagen danach in ihre Heimatländer zurückkehrt sind. Die Inkubationszeit, also die Dauer von der Ansteckung bis zum Auftreten erster Symptome, beträgt im Schnitt zehn Tage, kann aber auch drei Wochen dauern. Viel Zeit also, um das Virus unbewusst weiterzugeben, denn ansteckend können die Betroffenen während der gesamten Erkrankung sein.

Darin dürfte auch der Grund dafür liegen, dass immer noch vor allem Männer erkranken, die Sex mit Männern haben – aber eben nicht nur, mittlerweile gibt es bestätigte Fälle aus allen anderen Teilen der Bevölkerung. In den USA etwa sind zwei Kinder erkrankt. Weltweit wurden bisher mehr als 16.000 Fälle in 75 Ländern gemeldet, neun Menschen starben. Besonders verbreitet ist das Virus in Europa.

Welche Gefahr geht nun tatsächlich von Affenpocken aus?

Keine allzu hohe, weil die meisten nur mild erkranken und nach zwei bis vier Wochen genesen. Neben Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen sind die häufigsten Symptome Bläschen und Pusteln auf der Haut, sowie geschwollene Lymphknoten. Die Sterblichkeitsrate liegt bei einem bis zwei Prozent. Das bedeutet, dass höchstens ein bis zwei Prozent aller Erkrankten, die in einem Spital behandelt werden, sterben. Bei den echten Pocken betrug sie rund zehn Prozent. Bei der Grippe wird sie (wiederum im Hinblick auf Spitalspatienten) mit rund fünf Prozent beziffert, bei Covid-19 mit fünf bis zehn Prozent.

Die WHO-Erklärung zur Notlage darf also nicht überbewertet werden, auf Ausbrüche wie diese hinzuweisen gehört nun einmal zu ihren Kernaufgaben. Die meisten Mediziner in Österreich halten die Ausbreitung der Affenpocken nicht für besorgniserregend – sofern es gelingt, ausreichend Impfstoffe zu besorgen. Eine spezifische Impfung gibt es zwar nicht, aber die allgemeine Pockenimpfung ist zu 85 Prozent wirksam. Vor Kurzem traf die erste Lieferung (2340 Dosen) in Österreich ein. Eine weitere größere Lieferung wird für die kommenden Wochen erwartet. Empfohlen wird eine Impfung vorerst nur Risikogruppen – etwa Personen, die Kontakt zu Erkrankten hatten, und Gesundheitspersonal. 

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