Redebedarf

Hört das denn nie auf?

100 Rätsel der Kommunikation, Folge 9. Gespräche sind mühsam. Man muss sie anfangen, laufen lassen und beenden. Oder man redet digital. Dann muss man gar nichts.

Reden kann man ja mit allen. Topfpflanzen, Hunden. Auch mit Menschen kann man es versuchen. Mit sich selbst funktioniert es auch. Und wenn man selbst beide Gesprächspartner auf einmal ist, hat das sogar einige Vorteile. Dann weiß man auch, wann man wieder dran ist mit dem Reden und wann man besser schweigt. Und es ist nicht so unglaublich unangenehm, wenn man behaupten muss, dass man schnell wegmuss oder aufs Klo, nur damit man aus dem Gespräch rauskommt. Man kann sich selbst so wunderbar anschweigen. Stundenlang. Wenn man mit anderen redet, außer mit sich selbst, ist das alles nicht ganz so einfach. Man weiß auch nie, ob das jetzt schon ein Gespräch ist oder noch Geplänkel. „Na du?“, „Alles gut?“, „Und sonst so?“, ist das schon Gespräch oder nur die Möglichkeit, die Anbahnung davon? Oder eine Nachricht empfangen, anhören, selber eine aufnehmen und zurückschicken, ist das schon ein Gespräch?

Ganz schwierig ist vor allem auch zu wissen, wann ein Gespräch vorbei ist. Man kann es gern ausprobieren, aber nur weil beide Seiten schweigen, ist das Gespräch noch lange nicht aus. Es könnte ja noch was kommen. Deshalb muss man ein Gespräch, und das lässt sich nicht ändern, ordentlich abschließen. Die Menschheit hat sich dafür ein paar Gesten, Floskeln, Verhaltensweisen ausgedacht, die 50 Prozent der Menschen auch richtig lesen und deuten können.

Die andere Hälfte redet noch immer weiter, obwohl man selbst das Gespräch innerlich schon längst beendet hat. Interessant auch die Gewohnheit mancher Gesprächsteilnehmer, das Gesprächsende floskelhaft mehrmals herbeizuführen und dann trotzdem weiterzureden. „Also dann!“, „Hat mich gefreut“, „Bis zum nächsten Mal“. Zwecklos. Gespräche sind immer anstrengend. Und aufregend, weil man auch zu Beginn nicht weiß, ob sie gut und schön werden.

Am unaufwendigsten wäre, einfach nicht zu reden. Das macht aber einsam und unglücklich, wie man hört. Deshalb macht man die Gespräche jetzt auch digital. Das kann auch einsam und unglücklich machen, wie man hört, aber eher langfristig. Beim digitalen Gespräch muss man sich wirklich nichts antun. In die Augen schauen, gar nicht! Aufmerksam sein, aber geh! Vor allem führt man digitale Gespräch ja meist schriftlich. Also man tippselt, was man früher und auch von Angesicht zu Angesicht so nie gesagt hätte. Und man muss auch nicht mühsam grüßen und lächeln, bevor man dem anderen sagt, was er bitte sofort zu erledigen hat.

Am anderen Ende des Gesprächs, nämlich am Ende, wird’s aber auch ein wenig seltsam. Weil man ja nicht weiß, wann es tatsächlich aus ist. „Ich muss aufs Klo“, das ist im WhatsApp-Dialog kaum eine Exit-Strategie. Meistens tut man das, was analog gar nicht geht: man fängt digital zu schweigen an. Jetzt geht’s nur noch darum, den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Muss ich jetzt noch was zurückschreiben? Oder war’s das schon? Sicherheitshalber schießt man noch etwas nach. Der andere schreibt nicht zurück. Was ist los? Hab ich was Falsches gesagt? Oder ist das Gespräch jetzt wirklich vorbei, ohne dass ich es bemerkt habe?  Wenn zwei Wochen später doch die nächste Nachricht kommt, weiß man: Aha, das Gespräch läuft doch noch. Parallel mit so vielen anderen Gesprächsfäden, die auf WhatsApp lose herumhängen, bis irgendwer da draußen wieder anknüpft. Gespräche auf Stand-By. Das verbrennt auch einiges an Energie, wie man von Elektrogeräten weiß.

Analoge Gespräche dauerten eine Zigarette lang, als man noch rauchte. Einen Kaffee lang. Digital dafür dauern sie manchmal so lange wie eine Beziehung. Und wenn man ganz romantisch ist, kann man seinen WhatsApp Verlauf auch ausdrucken und als Buch unter den Weihnachtsbaum legen. Die Apps dafür gibt es schon. Zumindest kann man das Buch dann zuklappen.

100 Rätsel der Kommunikation.

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