„Die Geduld der Kopten ist am Ende“

(c) REUTERS (ASMAA WAGUIH)
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Nach dem Anschlag von Alexandria herrschen unter den koptischen Christen Angst und Wut. Die Minderheit fordert von Kairo versprochene Reformen. Hunderte junger Kopten protestierten in Kairos Markus-Kathedrale.

Kairo/Alexandria. Die Nachwehen des blutigen Anschlages auf eine Kirche in Alexandria zur Silvesternacht, bei der 21 Menschen ums Leben kamen, erschüttern das Land am Nil. Egal, wo man abends auf Kairos Straßen fuhr, überall waren die Autos der ägyptischen Bereitschaftspolizei unterwegs. Gut tausend Polizisten waren im Einsatz, um eine Gruppe von einigen hundert koptischen Jugendliche vom Gebäude des staatlichen Fernsehgebäudes fernzuhalten. Sie zogen mit Kreuzen, Heiligenbildern und dem Ruf „Unser Blut und unsere Seele für das Kreuz“ die Niluferstraße entlang.

Gleichzeitig protestierten hunderte junger Kopten in Kairos Markus-Kathedrale, dem Aufenthaltsort ihres Papstes Schenuda. Auch vor dem Ort des Anschlages in Alexandria kam es zu Auseinandersetzungen zwischen koptischen Jugendlichen und der Polizei.

Bisher wurden 17 Menschen im Zusammenhang mit dem Anschlag festgenommen. Zehn davon sind wieder auf freiem Fuß, der Rest befindet sich noch in Haft.

Die genauen Umstände des Anschlages sind bisher ebenso unklar wie die Frage, wer dahintersteckt. Laut der unabhängigen Tageszeitung „Al-Masry Al-Youm“ werden in Sicherheitskreisen drei Szenarien diskutiert. Al-Qaida könnte jemanden lokal rekrutiert haben, um den Anschlag auszuführen. Die anderen Szenarien sprechen von einem Einzeltäter oder einer lokalen Zelle, die sich der Ideologie al-Qaidas verschrieben hat. Emad Gad vom Al-Ahram-Zentrum für strategische Studien glaubt, dass eine al-Qaida-Schläferzelle Anweisungen von außen ausgeführt hat.

Im Internet kursieren mehrere Bekennerschreiben von al-Qaida-nahen Gruppierungen, die aber nicht authentifiziert sind. Klar ist, dass die Gruppierung „Islamischer Staat im Irak“ seit Wochen immer wieder Drohungen gegen Kopten im Internet veröffentlicht hatte. Auf der Webseite des islamistischen „Majahden Electronic Network“ heißt es, dies sei erst der Anfang. Dort ist auch ein Kopfgeld auf die Ermordung Papst Schenudas ausgesetzt.

Die koptische Kirche selbst befindet sich in einem Dilemma: Die eigene Gemeinde drängt sie zum Handeln, anderseits versucht sie, weiter ein gutes Verhältnis zur Regierung zu unterhalten. Anders als viele koptische Gemeinden im Exil will die Kirche in Ägypten die Lage nicht eskalieren lassen – aus Angst, am Ende als Minderheit dafür den Preis zahlen zu müssen.

Keine Feiern zu Weihnachten?

Die Frage ist nun, wie die Kirche mit ihren orthodoxen Weihnachtsfeiern umgeht, die am 7.Jänner stattfinden. Papst Schenuda hat angeordnet, mit Ausnahme der Mitternachtsmesse alle Feierlichkeiten zu unterlassen – offiziell aus Protest gegen den Anschlag, aber möglicherweise auch aus Sorge, der Anschlag könnte sich bei den Weihnachtsfeiern wiederholen.

Die Christen in Ägypten bewegen derzeit zwei sehr widersprüchliche Gefühle: Angst und wütender Trotz. „Ich glaube die Situation hat einen Punkt erreicht, an dem die Geduld der Kopten nach jahrelanger Unterjochung am Ende ist“, erklärt Jusuf Sidhom, der Chefredakteur der koptischen Wochenzeitung „Al-Watani“.

Umstritten ist die Regierungslinie, die den Anschlag „ausländischen Elementen“ zuschiebt. Viele Kopten und ägyptische Menschenrechtsaktivisten sehen darin den Versuch, die existierenden Probleme doch wieder auf die lange Bank zu schieben. „Eigentlich ist es völlig egal, wer hinter dem Anschlag steckt, denn die Attentäter nutzen nur eine Situation, die zwischen Muslimen und Kopten in den letzten Jahren eskaliert ist, während die Regierung nichts unternimmt“, meint der Menschenrechtler Gasser Abdel Razeq.

Der säkulare koptische Aktivist Kamal Zachary fordert eine Reform des Erziehungssystems und der Medien, die die Kluft zwischen den Konfessionen oft vertiefen. „Wir brauchen eine säkulare Erziehung und wir müssen bei den Jungen eine Kultur der gegenseitigen Toleranz schaffen.“ Der koptische Geschäftsmann Munir Fakhry Abdel Noor wird deutlicher: „Wir sollten uns keine Illusionen machen. Es gibt große Probleme zwischen Christen und Muslimen in Ägypten, die endlich angegangen werden müssen.“

Immerhin, eine konkrete Konsequenz hat der aus einem Auto ausgeführte Selbstmordanschlag bereits. Das Parkverbot vor Kirchen wird derzeit im ganzen Land durchgesetzt. Die Frage ist, warum das vorher nicht geschah – wo doch Islamisten ein Attentat auf eine Kirche seit Wochen im Internet angekündigt hatten.

Auf einen Blick

In der Neujahrsnacht verübte ein Attentäter vor einer Kirche in der ägyptischen Stadt Alexandria einen Anschlag. Dabei wurden 21 Menschen getötet, 79 verletzt. Vor zwei Monaten hatte ein irakischer Arm des Terrornetzwerks al-Qaida den Kopten mit Gewalt gedroht. Auf einer „Todesliste“ im Internet waren Namen von in Österreich lebenden Kopten zu finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2011)

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