Gastkommentar

Tempo drosseln rettet Leben

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Straßenverkehr. Menschenfeinde sitzen im Parlament, die nicht sehen, was die Reduktion der Fahrgeschwindigkeit bringen würde.

Der Autor:

Hermann Knoflacher (*1940) ist internationaler Verkehrswissenschaftler und als Berater von Ministern, Regierungen, EU-Kommission und der WHO engagiert.

Der Fall ist bekannt: Tempo 100 auf Autobahnen, 80 auf Freilandstraßen und 30 im verbauten Gebiet statt der bisherigen generellen Tempolimits. Werden diese Limits eingeführt, werden in einem Jahr 160 Menschen weniger im Straßenverkehr sterben. Man kennt daher die Zahl der Opfer, ihre Identität wird im Laufe des Jahres bekannt werden. „90 Prozent der Unfallursachen liegen bei den Verkehrsteilnehmern“ wurde schon längst widerlegt.

Der Anteil der Suizide im Straßenverkehr liegt statistisch bei einem Prozent. Das Systemverhalten ist ebenso bekannt und seit Jahrzehnten erforscht. Eine Reduktion der Geschwindigkeiten von zehn Prozent verringert die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr um mehr als 37 Prozent. Die Rettung dieser Menschenleben ist daher möglich, und zwar sofort und mit minimalen Kosten.

Mehr als 100 Menschenleben

Die Verantwortlichen dafür sind auch bekannt. Sie sitzen im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, also die grüne Bundesministerin Leonore Gewessler und für den Verkehr der weisungsbefugte Generalsekretär Herbert Kasser als der eigentlich Zuständige. Sie scheinen aber keine Ambitionen für die Rettung von jährlich mehr als 100 Menschenleben zu haben, weil sie gar nicht den Versuch machen, den Gesetzesentwurf für diese Tempolimits ins Parlament zu bringen.

Der Generalsekretär verfügt laut Medienberichten über wirksame Netzwerkkontakte und könnte daher diese auch im Sinne der Rettung von Menschenleben nutzen. Zwar wurde er zur Umsetzung von Großprojekten vom Finanzministerium, wo er damit Erfahrungen sammelte, von Ex-SPÖ-Kanzler Werner Faymann ins Verkehrsministerium geholt. Nur haben sich seither die Zeiten geändert.

Geld, das wir nicht haben, für Projekte einsetzen, die wir nicht brauchen, ist angesichts des Klimawandels nicht mehr zu begründen. Im Parlament sitzen, wenn die Aussagen aus dem Ministerium stimmen, offensichtlich erklärte Menschenfeinde, die ein solches Gesetz gar nicht zulassen würden. „ÖVP, SPÖ, FPÖ und Neos haben sich dagegen ausgesprochen“, wurde kolportiert.

Was sind das für Menschen?

Das sind 156 Abgeordnete – auf jeden und jede kommt also mindestens ein Verkehrstoter, wenn sie dieses längst notwendige Gesetz ablehnen. Man muss sich fragen, was das für Menschen sind, die den Tod von mindestens einem anderen in Kauf nehmen, obwohl es überhaupt kein sachliches Argument mehr gibt, deren Tod durch ein zustimmendes, Leben rettendes, Handheben zu vermeiden.

Sich auf Umfragen nach der Methode „Soll auf heimischen Autobahnen Tempo 100 gelten?“ wie in Vienna.at oder Heute.at zu stützen, würde nur völlig Sachunkundige beeindrucken, die nicht wissen, dass bei dieser Fragestellung das Mittel, also die Maßnahmen, mit dem Zweck verwechselt werden. Zweck der Temporeduktion ist, wenn man nur mit der Verkehrssicherheit argumentieren will, die Reduktion der Toten im Verkehrssystem. Daher muss die Frage lauten „Sind Sie dafür, jeden zweiten Tag einen Menschen zu töten, weil bei uns die Tempolimits zu hoch sind?“ Damit hat man ohnehin nur einen Aspekt des Unfallgeschehens genannt. Dass damit auch die Zahl der Verletzten sinkt und ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz geleistet wird, die Bevölkerung Vorteile durch die Reduktion des Lärms, der Erhaltungskosten, des Aufwandes im Sozialsystem hat, braucht wohl nicht immer wieder betont werden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2023)

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