Die entscheidenden ersten Monate. Wie die ökonomischen und institutionellen Bedingungen bei der Ankunft langfristig die Arbeitsmarktintegration beeinflussen.
Oft werden in der Diskussion um die ökonomischen Effekte von Fluchtmigration Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt und negative fiskalische Effekte als Sorgen genannt. Aber schon in der Vergangenheit haben zahlreiche Studien mittel- bis langfristig kaum Auswirkungen von Zuwanderung auf den Durchschnittslohn und die Beschäftigung der einheimischen Arbeitnehmer gefunden. Mitunter sind die Effekte sogar positiv. Gegeben des zunehmenden Arbeitskräftemangels ist die Sorge vor Verdrängungseffekten noch weiter in den Hintergrund getreten.
Bleibt die Frage nach den fiskalischen Effekten. Geflüchtete in vielen Ländern haben eine niedrigere Arbeitsmarktintegration als die einheimische Bevölkerung und andere Zuwanderergruppen. Zumindest kurzfristig ergibt sich daraus eine überdurchschnittliche Inanspruchnahme von sozialstaatlichen Leistungen und ein geringeres Steueraufkommen. Klar ist, eine verbesserte Arbeitsmarktintegration würde mögliche negative fiskalische Effekte reduzieren. Der Grad der Arbeitsmarktintegration hängt sowohl von den Eigenschaften der Geflüchteten (Alter, Bildungsniveau, Sprachkenntnisse, Traumatisierung,...) als auch von den Bedingungen, die in den Aufnahmeländern vorherrschen, ab.
Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Ab sofort liefert auch die seit 2019 in Wien ansässige CEU ("Central European University") Beiträge zum Blog.
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Mehrere aktuelle Forschungspapiere untersuchen, inwieweit institutionelle und ökonomische Bedingungen in der ersten Zeit nach Ankunft die (Arbeitsmarkt-)Integration von Geflüchteten (und Zuwanderern insgesamt) beeinflussen. Eine zentrale Erkenntnis dabei ist, dass die Zeit nach der Ankunft eine Schlüsselrolle für die langfristige Integration einnimmt.
Eingeschränkter Zugang
Unter den institutionellen Rahmenbedingungen spielen die Regelungen zum Zeitpunkt und etwaige Beschränkungen des Arbeitsmarktzugangs eine zentrale Rolle. Viele Länder erlauben Geflüchteten in der ersten Zeit keinen oder nur eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Einerseits aus Sorge vor den genannten Verdrängungseffekten. Andererseits um die Attraktivität des Landes für potentielle zukünftige Migranten zu reduzieren. Eine groß angelegte Studie mit Daten verschiedener europäischer Länder zeigt, dass Geflüchtete, die im ersten Jahr keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, auch nach 5-8 Jahren noch eine um 24 Prozentpunkte geringe Erwerbsquote hatten. Eine andere Studie, die Unterschiede im Arbeitsmarktzugang zwischen Schweizer Kantonen untersucht, kommt zum Schluss, dass eine Zugangsrestriktion zu 10 Prozent der potentiellen Jobs die Stundenlöhne von Geflüchteten um 2,8 Prozent reduziert.
Die Arbeitsmarktsituation zum Zeitpunkt der Ankunft bzw. des Eintritts in den Arbeitsmarkt des Ziellandes spielt ebenso eine große Rolle. Eine um einen Prozentpunkt höhere regionale Arbeitslosenquote bei Ankunft verringert das jährliche Einkommen von Familienmigranten in den USA kurzfristig um vier Prozent und langfristig um zwei Prozent. Diese Personen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit in Berufen zu arbeiten, für die sie überqualifiziert sind - auch noch zehn Jahre nach Ankunft. Über zehn Jahre ergibt sich durch eine um ein Prozentpunkt höhere Arbeitslosenquote im Durchschnitt ein um etwa 7000 USD geringeres Einkommen.
Beispiel Schweiz
Aus der Bedeutung der lokalen Bedingungen ergibt sich die Überlegung, die Integration von Geflüchteten durch eine optimierte Allokation zu verbessern. Dabei werden auf Grundlage von Daten über in der jüngeren Vergangenheit aufgenommene Schutzsuchende Prognosen mittels Methoden des maschinellen Lernens erstellt. Für jeden neu eingereisten Geflüchteten (bzw. die ganze Familie) wird vorhergesagt, in welcher Gemeinde er/sie am schnellsten eine Erwerbstätigkeit findet. Sofern keine anderweitigen Gründe dagegen sprechen, wird der Geflüchtete/die Geflüchteten dieser Gemeinde zugewiesen. Diese kostengünstige Verbesserung der Arbeitsmarktintegration wird derzeit in der Schweiz praktisch getestet.
Jenseits emotional aufgeladener politischer Debatten zum Thema Flucht und Migration gibt es eine Vielzahl von Politikmaßnahmen, bei denen ein pragmatischer und evidenzbasierter Zugang zu einer Verbesserung der Situation für Geflüchtete und die Aufnahmegesellschaft führen kann. Im kürzlich erschienen Buch “So schaffen wir das”, herausgegeben von Othmar Karas und Judith Kohlenberger, zu dem auch der Autor dieser Zeilen einen Beitrag leisten durfte, wird ein lösungsorientierter Zugang zum Thema Flucht und Migration eingefordert. Wie die obigen Beispiele verdeutlichen, kann die empirische Forschung dabei helfen, die Wirkungsweise von Politikmaßnahmen zu verstehen, Kosten, Nutzen und Verteilungswirkungen zu quantifizieren und damit die Grundlage für ebendiesen lösungsorientierten Zugang zu schaffen.
Der Autor
Andreas Steinmayr ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Innsbruck. Sein Forschungsgebiet ist die angewandte Mikroökonometrie mit einem besonderen Schwerpunkt auf die Ursachen und Auswirkungen internationaler Migration.

Quellen:
Ahrens, A. et al. (2023): The Labor Market Effects of Restricting Refugees' Employment Opportunities. IZA Discussion Paper No. 15901, http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.4340083
Bansak, K. et al. (2018). Improving refugee integration through data-driven algorithmic assignment. Science, 359(6373), 325-329.
Barsbai, T., Steinmayr, A., und C. Winter (2023). Immigrating into a Recession: Evidence from Family Migrants to the US. Kiel Working Papers No. 2240
Fasani, F., Frattini, T., und L. Minale (2021): Lift the Ban? Initial Employment Restrictions and Refugee Labour Market Outcomes. Journal of the European Economic Association, 19, 2803–2854.
Hangartner, D. Steinmayr, A. und J. Spirig (2023): Was wir aus dem großen Flüchtlingsjahr 2015 lernen können. In Karas, O. und J. Kohlenberger (Hrsg.): So schaffen wir das. edition a.