Überfall auf die Ukraine

Ein Jahr Krieg: Jeder dritte geflüchtete Ukrainer will in der EU bleiben

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TOPSHOT-POLAND-UKRAINE-RUSSIA-CONFLICT-REFUGEEAFP via Getty Images
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Die EU-Grundrechteagentur FRA hat die Lage der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Europa untersucht. Sie blicken optimistisch in die Zukunft - sei es in der alten Heimat, sei es in der EU.

Wien/Brüssel. Als Wladimir Putin am 24. Februar 2022 in die Ukraine beorderte, setzte der russische Machthaber mit seinem Angriffsbefehl Europas größte Flüchtlingswelle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Bewegung. Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks waren mit Stand 21. Februar 2023 knapp 8,1 Millionen Ukrainer über die Länder Europas verteilt, wobei in dieser Statistik auch jene geschätzten 2,8 Millionen Menschen erfasst sind, die – freiwillig oder unfreiwillig – in Russland endeten. In der Europäischen Union sind derzeit rund 4,8 Millionen ukrainische Staatsbürger mit geregeltem Aufenthaltsrecht als Geflüchtete registriert.

Wie geht es diesen Menschen ein Jahr nach dem russischen Überfall auf ihre Heimat? Dieser Frage ist die EU-Agentur für Grundrechte (FRA) in einer groß angelegten Studie nachgegangen, die am Dienstag veröffentlicht wurde. Im Rahmen der Enquete wurden in der zweiten Jahreshälfte 2022 insgesamt 14.685 Personen in zehn EU-Mitgliedstaaten – und zwar in Polen, Deutschland, Italien, Spanien, Estland, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien – zu ihrer Lage befragt. Die Auswahl der Länder richtete sich dabei nach der relativen Dichte der ukrainischen Flüchtlinge im Verhältnis zur Bevölkerung (etwa in Tschechien oder Estland) bzw. nach der absoluten Zahl der beherbergten Ukrainer (etwa in Polen oder Deutschland).

Ein Drittel beantragt Asyl

Was den rechtlichen Status der Geflüchteten anbelangt, haben zwei Drittel der befragten Ukrainer auf den Anfang März 2022 von der EU aktivierten Notfallmechanismus des sogenannten vorübergehenden Schutzes zurückgegriffen. Dieses Rechtsmittel gilt derzeit bis März 2024 (dürfte allerdings je nach Kriegsverlauf verlängert werden) und gewährt Ukrainern kollektiven Schutz – die Betroffenen müssen also keine konkreten Gründe für ihre Flucht nachweisen. Das restliche Drittel der Befragten hat in der Zwischenzeit individuelle Asylanträge gestellt – und stellt sich mutmaßlich auf einen länger andauernden Aufenthalt in der EU ein.

Diese Vermutung wird durch den zweiten Befund der Studie untermauert: Demnach möchte ein Drittel der Befragten nicht mehr in die überfallene Heimat zurückkehren, sondern ein neues Leben in der EU beginnen, während ein weiteres Drittel auf jeden Fall in die Ukraine zurückkehren will – und der Rest derzeit unentschlossen ist beziehungsweise die Frage nicht beantworten wollte.

Die Integration in die europäischen Arbeitsmärkte scheint jedenfalls geglückt zu sein. Nach nicht einmal einem Jahr haben zwei Drittel de Befragten, die vor Kriegsbeginn in der Ukraine berufstätig waren, in der EU einen Job gefunden – wobei hier der Anteil der unentgeltlichen Arbeit mit gut 30 Prozent relativ hoch war. Zu den größten Hürden im beruflichen Kontext zählten die Sprachbarriere (die lediglich in Polen aufgrund der linguistischen Verwandtschaft relativ niedrig ist) sowie Betreuungspflichten – denn drei Viertel der aus der Ukraine geflüchteten Kinder sind nur mit der Mutter in der EU – was den besagten Müttern die Arbeitssuche erschwert. Insgesamt gab die Hälfte der befragten Erwachsenen an, sich über die eigene finanzielle Lage Sorgen zu machen, während ein Viertel den Lebensunterhalt dank Berufsausübung bestreiten kann.

Zu wenig Sprachunterricht

Was die Sprachbarriere anbelangt, zeigt der FRA-Bericht auf, dass die bisherigen Maßnahmen der EU-Mitglieder zu wenig auf die längerfristige Integration der Ukrainer ausgerichtet sind. Demnach haben 40 Prozent der Befragten seit ihrer Ankunft in der EU keinen einzigen Sprachkurs besucht. Und knapp zwei Drittel der aus der Ukraine geflüchteten Kinder wurden nicht in die örtlichen Bildungssysteme integriert, sondern erhielten Online-Unterricht aus der Ukraine.

Trotz aller Schwierigkeiten fühlen sich die Ukrainer in der EU nicht isoliert. Nach nicht einmal einem Jahr in der Fremde gab ein Drittel der Befragten an, sich als Mitglied der einheimischen Gesellschaft zu fühlen. Und zwei von drei ukrainischen Kriegsflüchtlingen blicken nach eigenen Worten optimistisch in die Zukunft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2023)

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