Der ökonomische Blick

Wie kann die Impfbereitschaft gegen COVID-19 erhöht werden?

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Um die Pandemie nachhaltig einzudämmen, sind laut Weltgesundheitsorganisation hohe Impfraten erforderlich. Die Impfbereitschaft ist in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich und ist in den deutschsprachigen Ländern – allen voran in Österreich – besonders niedrig.

Die COVID-19-Pandemie hat bis heute mehr als 6,9 Millionen Menschenleben gefordert, und bleibt auch knapp drei Jahre nach den ersten nachgewiesenen Infektionen laut Weltgesundheitsorganisation ein „Notstand von internationaler Tragweite“ (WHO, 2023). Die verfügbaren Impfstoffe schützen geimpfte Personen vor schweren Krankheitsverläufen, verringern das Infektionsrisiko für Geimpfte und Ungeimpfte und tragen so dazu bei, eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern und eine Rückkehr zur Normalität zu ermöglichen (Paetzold et al., 2022). Um die Pandemie nachhaltig einzudämmen, sind laut Weltgesundheitsorganisation hohe Impfraten erforderlich. Die Impfbereitschaft ist in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich und ist in den deutschsprachigen Ländern – allen voran in Österreich – besonders niedrig.[1]


Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Ab sofort liefert auch die seit 2019 in Wien ansässige CEU ("Central European University") Beiträge zum Blog. 

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Es stellt sich also die dringende Frage, wie die Impfbereitschaft im deutschsprachigen Raum erhöht werden kann. Anhand von Experimenten, die kurz nach Start der ersten Impfkampagne im Frühjahr 2021 mit repräsentativen Stichproben für die erwachsene Bevölkerung in Deutschland durchgeführt wurden, untersuchen wir, wie zwei mögliche Faktoren die Bereitschaft zum Impfen beeinflussen: Das Zulassungsverfahren für den Impfstoff und soziale Normen.

Gestaltung des Zulassungsverfahrens beeinflusst Vertrauen in die Impfung und Impfbereitschaft

Bevor ein Impfstoff eingesetzt werden kann, wird seine Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit geprüft. Die Zulassungsverfahren unterscheiden sich jedoch zwischen Ländern: Die USA und das Vereinigte Königreich haben den ersten COVID-19-Impfstoffen im Schnellverfahren eine „Notfallzulassung“ erteilt, während die Europäische Arzneimittel-Agentur eine „bedingte Zulassung“ vergeben hat, die höhere Anforderungen an die nachgewiesene Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs stellt. Dies sollte das Vertrauen in den Impfstoff stärken und die Bereitschaft zur Impfung in der Bevölkerung erhöhen.

Um zu untersuchen, ob das Zulassungsverfahren Auswirkungen auf das Vertrauen in die Impfung und die Impfbereitschaft hat, haben wir eine repräsentative Befragung mit mehr als 2000 Personen in Deutschland durchgeführt (vgl. Angerer et al., 2022a). In einem Befragungsexperiment wurden den Teilnehmer*innen zunächst unterschiedliche Impfstoffe beschrieben, die sich unter anderem darin unterschieden, ob sie eine Notfallzulassung oder eine bedingte Zulassung erhielten. Anschließend fragten wir die Teilnehmer*innen, ob sie dem beschriebenen Impfstoff vertrauten und sich damit impfen lassen würden.

Die Art der Zulassung hat tatsächlich einen starken Einfluss auf die Impfbereitschaft: Während nur etwa 52 Prozent der Befragten angaben, sich mit einem Impfstoff mit Notfallzulassung impfen zu lassen, stieg die Impfbereitschaft für einen Impfstoff mit bedingter Zulassung auf 65 Prozent. Dies ist auf das höhere Vertrauen der Befragten in den bedingt zugelassenen Impfstoff zurückzuführen.

Soziale Normen erhöhen die Impfbereitschaft von Frauen, aber nicht die von Männern

In der Entscheidung, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, kann ein „Trittbrettfahrerproblem“ auftreten: Wenn sich viele andere impfen lassen, kann es für den/die Einzelne*n einen Anreiz geben, sich nicht impfen zu lassen, weil er oder sie ohnehin vom Impfschutz der anderen profitiert. Wenn viele Menschen so denken, kann das zu einer zu niedrigen Impfrate führen. Um Trittbrettfahren zu verhindern und sozial erwünschtes Verhalten zu fördern, spielen soziale Normen – also die Erwartung der Gesellschaft an ein bestimmtes Verhalten – eine entscheidende Rolle. Soziale Normen werden umso stärker wahrgenommen, je mehr Menschen sich daran halten. Da Impfentscheidungen jedoch privat getroffen werden, sind sie von anderen nur schwer zu beobachten. Wenn die Impfbereitschaft anderer – und somit die soziale Norm sich impfen zu lassen – unterschätzt wird, kann dies die eigene Impfbereitschaft negativ beeinflussen.

In einem zweiten repräsentativen Experiment mit mehr als 3000 Teilnehmer*innen haben wir deshalb getestet, ob Information über die Impfbereitschaft der Bevölkerung die eigene Impfbereitschaft erhöht (vgl. Angerer et al., 2022b). Die Ergebnisse zeigen, dass die allgemeine Impfbereitschaft tatsächlich unterschätzt wird: Während insgesamt 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung angaben, sich gegen COVID-19 impfen lassen zu wollen, schätzten die Teilnehmer*innen diesen Anteil auf nur 62 Prozent. Eine zufällig ausgewählte Teilgruppe der Teilnehmer*innen wurde dann über die tatsächliche Impfbereitschaft in der Bevölkerung informiert, bevor sie dieselben Fragen zu ihrer eigenen Impfbereitschaft beantwortete wie die Teilgruppe, die keine Information erhielt.

Im Durchschnitt hat die Information über die Impfbereitschaft der Bevölkerung keinen Einfluss auf die Impfbereitschaft der Teilnehmer*innen, was auf starke und entgegengesetzte Effekte bei Frauen und Männern zurückzuführen ist: Während sich die Impfbereitschaft von Frauen durch die Information erhöht, verringert sich die der Männer. Der Grund dafür ist, dass Frauen und Männer die Information, dass die tatsächliche Impfbereitschaft höher ist als gedacht, unterschiedlich verarbeiten: Frauen passen ihr Verhalten aufgrund der Information an die soziale Norm, sich impfen zu lassen, an, während die Information Männer zum Trittbrettfahren einlädt.

Die Impfbereitschaft hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Unsere Studien zeigen, dass sowohl regulatorische Aspekte, wie die Gestaltung des Zulassungsverfahrens, als auch soziale Normen wichtige Hebel sind, um die Impfbereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen.

Die Autor*innen:

Silvia Angerer ist Assistenzprofessorin an der UMIT TIROL – Private Universität für Gesundheitswissenschaften und -technologie in Hall in Tirol. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gesundheitsökonomik, experimentelle Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomie.

Daniela Glätzle-Rützler ist Assistenzprofessorin am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck und forscht im Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und der Verhaltensökonomie. Schwerpunkte ihrer Arbeiten liegen insbesondere im Bereich vom Entscheidungsverhalten von Kindern und Jugendlichen sowie von gesundheitsökonomischen Themen.

Philipp Lergetporer ist Assistenzprofessor für Economics an der Technischen Universität München, TUM School of Management, Heilbronn Campus. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bildungsökonomik, politische Ökonomie, Finanzwissenschaften und Verhaltensökonomie

Thomas Rittmannsberger ist Doktorand in Volkswirtschaftslehre an der Universität Innsbruck und forscht im Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und der Verhaltensökonomie. Seine Dissertation beschäftigt sich mit gesundheitsökonomischen Fragestellungen.

Frauke Witthöft studiert Quantitative Economics im Master an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

(c) Zlu Haller
(c) NELA DORNER

Quellen



[1] Vgl. Financial Times, 11. November, 2021, https://www.ft.com/content/f04ac67b-92e4-4bab-8c23-817cc0483df5  [aufgerufen am 1. März 2023].

Angerer, S., D. Glätzle-Rützler, P. Lergetporer, T. Rittmannsberger (2022a). How Does the Vaccine Approval Procedure Affect Covid-19 Vaccination Intentions? CESifo Working Paper 9648.

Angerer, S., D. Glätzle-Rützler, P. Lergetporer, T. Rittmannsberger (2022b). Beliefs about Social Norms and (the Polarization of) Covid-19 Vaccination Readiness. CESifo Working Paper 10196.

Paetzold, J., J. Kimpel, K. Bates, M. Hummer, F. Krammer, D. von Laer, H. Winner (2022). Impacts of Rapid Mass Vaccination Against SARS-CoV2 in an Early Variant of Concern Hotspot. Nature Communications 13, 612.

WHO (2023). COVID-19 Dashboard. Geneva: World Health Organization. https://covid19.who.int/ (aufgerufen am 1. März 2023).

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