Religion

Woran junge Menschen glauben

Abigail Faffelberger aus Graz glaubt an Gott. „In der Tiefe nachvollziehen kann man das wohl erst, wenn man sich selbst damit auseinandersetzt und für Gott öffnet.“
Abigail Faffelberger aus Graz glaubt an Gott. „In der Tiefe nachvollziehen kann man das wohl erst, wenn man sich selbst damit auseinandersetzt und für Gott öffnet.“Helmut Lunghammer
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Sie stoßen vor dem Fußballmatch ein Gebet gen Himmel, tragen Ketten mit einem Kreuz um den Hals. Andere hinterfragen Werte, die die Kirche vermittelt, wieder andere haben sie längst verlassen. Glauben junge Menschen unserer Zeit noch? Und wenn ja, woran?

Die Kette vom Hals genommen, noch ein Kuss aufs Kreuz gehaucht, in der Garderobe abgelegt. Während des Spiels wird kein Schmuck getragen. Aber der Glaube bleibt in unterschiedlicher Form auf dem Spielfeld präsent: Von den jungen Fußballern zwar noch nicht als Tattoo von Jesus oder Jungfrau Maria auf der Haut verewigt, wie es die Großen tun. Aber hier gibt es ein in den Himmel gerichtetes Gebet, bevor es aufs Feld geht, dort ein Kreuzzeichen nach dem Treffer.

Es sind Szenen, wie sie von vielen Eltern und Lehrer beobachtet werden. Sie staunen über den Sinneswandel der Kleinen, den sie über das Fußballtraining zu vollziehen scheinen: Sprüche wie „Meine Kraft liegt in Jesus“ werden im Alltag übernommen, viele reizt plötzlich der Gang in die Kirche. Man nimmt Rücksicht auf die Kollegen, sie begehen Ramadan.

Für viele Gleichaltrige spielt der Glaube unterdessen aber überhaupt keine Rolle. Sie zweifeln an den Inhalten, die ihnen im Religionsunterricht nähergebracht werden. Sie treten aus der Kirche aus, distanzieren sich „von veralteten Regeln“ und Glaubenssätzen. Wie also, wie haben es die jungen Menschen mit der Religion?

„Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft unter jungen Menschen ist jedenfalls klar im Sinken begriffen“, beobachtet Astrid Mattes vom Bereich der sozialwissenschaftlichen Religionsforschung an der Uni Wien. In Zahlen der Statistik Austria aus dem Jahr 2019 sieht das so aus: 31,9 Prozent der befragten Jugendlichen sind katholisch, 18,6 Prozent muslimisch. 7,3 Prozent fühlen sich der orthodoxen Kirche zugehörig, 6,1 Prozent der evangelischen. 2,7 Prozent wählen „Sonstiges“ – und 33,5 Prozent finden sich in der Rubrik„religionsdistanziert“ wieder.

Eine Umkehr ist seither nicht zu erkennen. „Der Trend geht klar zur Konfessionslosigkeit“, so die Religionswissenschaftlerin. In einem Forschungsprojekt hat sie mit Jugendlichen gesprochen, die sich sehr wohl als religiös bezeichnen. „Viele von ihnen nehmen sich in einer Minderheitensituation wahr: Sie stehen gefühlt einer säkularen Mehrheit gegenüber. Oder, wenn sie beispielsweise muslimisch oder jüdisch sind, einer christlichen Mehrheit.“ Ihren Glauben leben sie dabei ganz unterschiedlich aus. Für Jugendliche aus muslimisch geprägten Familien spielen religiöse Überzeugungen und die Identifikation mit dem Islam als Tradition eine wichtige Rolle, was sich auch in ihrem Denken und Leben widerspiegelt, wie eine von der Universität Graz durchgeführte Studie zeigt. Über 75 Prozent der Befragten gaben das Gebet oder den Gang in die Moschee als „sehr wichtig“ an.

Gläubig heißt nicht religiös

Es gibt es einen Unterschied zwischen „gläubig“ sein und „religiös“. Glauben heißt zunächst „für wahr halten“, eine bestimmte Überzeugung haben. Und die hat, ohne dabei unbedingt in einem religiösen Kontext zu stehen, jeder. Religion kann man als Glauben an überempirische Akteure, an eine höhere Macht, verstehen. Wobei: „Wir neigen dazu, Religion ein bisschen zu verengen“, sagt Marcus Hütter von der evangelischen Heilandskirche Graz dazu. Religion, so der 35-jährige Pfarrer, dem auch das Thema Jugendarbeit am Herzen liegt, sei viel mehr: „Religion kann nur leben, wenn sie sozial ist. Sie hat viele Aspekte. Das Geistliche kann natürlich einer sein, weshalb es so etwas wie die Kirche überhaupt gibt. Neben und mit dem geistlichen Aspekt lebt Religion auch von sozialen Facetten, dem Gemeinschaftlichen, dem Miteinander.“ Der persönliche, religiöse Glaube sei etwas, das einem Menschen Antworten gebe. Auf die Frage nach dem, was ihn trägt, woher er kommt, wohin er geht. „Das ändert die Art und Weise, auf Menschen zuzugehen, die Welt zu sehen. Aus dem entstehen dann Werte.“

Norbert Schönecker, Priester in der Pfarre und Religionslehrer an einer Schule in Mariahilf, beobachtet an seinen zehn- bis 16-jährigen Schülern: „Wenn man ,religiös‘ im Zusammenhang mit einer Bindung an eine Organisation versteht, sind das die jungen Menschen wenig.“ Gläubig im allgemeinen Sinn, dass man darauf vertraut, dass es Gutes in der Welt gibt, und eine Hoffnung hat über das hinaus, was die Welt zu bieten hat, das „auf jeden Fall“. Aber: „Gläubig im Sinne von katholischer Dogmatik, dass sie glauben, dass Christus der eingeborene Sohn Gottes ist, gekreuzigt, gestorben, begraben, am dritten Tage auferstanden und so weiter, das wieder eher wenig.“

Eine Beziehung mit Jesus

Abigail Faffelberger aus Graz glaubt daran. Sie hat sich persönlich dazu entschieden, für Jesus und mit Jesus zu leben. Sie ist überzeugte Christin, bezeichnet sich aber nicht als religiös im Sinne von: „Ich halte mich an äußere Formen und Traditionen“. Sie hat vielmehr in eine persönliche Beziehung zu Gott gefunden, will ihm im täglichen Leben begegnen. Jesus Christus hilft ihr dabei: „Er ist Gott. Er ist vom Himmel zu uns Menschen gekommen, um uns zu zeigen, dass er uns liebt.“ Im Gebet bittet sie ihn um Führung und Orientierung, im Lesen der Bibel erkennt sie seinen Willen. Diese ist für ihren Glauben grundlegend und beantwortet ihr die großen Lebensfragen. „Woher komme ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich?“

Antworten, die Jonas aus der Steiermark, er will an dieser Stelle nicht mit vollem Namen genannt werden, nicht in der Bibel finden kann. Und auch nicht in der Kirche. Die hat er letztes Jahr verlassen – und gehört damit zu den 90.808 Personen, die 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten sind. Junge Menschen nennen als Grund dafür oft den Kirchenbeitrag. Jonas nennt Inhalte, die er nicht vertreten kann. Das Konzept der Sünde und Buße, Missbrauchsskandale, der Umgang mit ebensolchen, die Haltung gegenüber Homosexuellen, die Gleichberechtigung – „die ist sicher nicht gegeben“. Oft fällt unter Jugendlichen der Satz: „Ich glaube an die Wissenschaft“, oder: „Ich will die Verantwortung für mein Leben alleine tragen.“


Die Skepsis wächst

Dabei ist Jonas in einer sehr gläubigen Familie aufgewachsen. Früher ging man am Wochenende gemeinsam in die Kirche, besuchte Kirchenfeste. Zu Hause wurde öfter gebetet, vor dem Essen etwa ein Dank an Gott ausgesprochen. „Ich habe aber eigentlich nie bewusst mitgebetet“, überlegt der 19-Jährige. Was ihm in der Kirche erzählt wurde, habe er „zum Großteil“ allerdings schon geglaubt. Und auch im Religionsunterricht war man bemüht, die Inhalte verständlich zu vermitteln, sie haben ihn in seinem Glauben bestärkt. Wobei: „Alles habe ich auch nicht so ernst genommen.“ Gott soll die Welt in sieben Tagen erschaffen haben? Da haben ihn die Dokumentationen im Fernsehen eines Besseren belehrt.

Er wurde skeptischer. Wenn es einen Gott gibt, warum gibt es dann so viel Leid auf der Erde? Was glaube ich da eigentlich? Passt das alles? Will ich das noch? Auch Astrid Mattes hat in ihrer Studie über alle Religionsgrenzen hinweg eine durchaus kritische Auseinandersetzung der Jugendlichen mit den Praktiken und Inhalten festgestellt, die Eltern und Institutionen ihnen vorleben. Gerade die Geschlechter-Thematik wurde von den meisten als „sehr schwierig“ angesehen. Und oft ist es auch die Situation, in der sie sich befinden: auf der einen Seite der Glaube, der ihnen wichtig ist, auf der anderen Seite die Überzeugungen ihres überwiegend säkularen Umfelds. Die meisten würden daraufhin ihre Religion adaptieren; Elemente streichen, mit denen sie sich nicht identifizieren können, die sie als „falsch verstandenen traditionellen Ballast“ empfinden. Von einem Traditionsabbruch spricht auch Marcus Hütter. Durch fortschreitende Phänomene wie Säkularisierung oder Individualisierung wird Religion in den Familien nicht mehr so weitergegeben wie früher.

Will man die Jungen nicht ganz verlieren, sollte man ihnen jedenfalls keinesfalls vorschreiben, was und wie sie es zu tun haben, so Hütter. Es geht darum, ihre Grenzen und Freiheiten zu wahren, ihnen Raum zu geben. So hat auch der heutige Pfarrer zum Glauben gefunden. Aufgewachsen in einer „entkirchlichten, entchristlichten“ Familie, kam er erst über den Konfirmationsunterricht dazu. Überzeugt hat ihn die Art und Weise, wie auf ihn zugegangen, mit ihm gesprochen wurde, ihm ein Angebot gemacht wurde, er aber zugleich seinen Freiraum hatte und auf die Suche geschickt worden ist. Es gebe zwar immer weniger religiöse junge Menschen; aber die junge Generation sei nicht abwehrend, sagt er, sondern durchaus empfänglich und interessiert. Sie sei tolerant, „den anderen sein lassen“, so ihre Devise. „Aber man braucht nicht zu denken, sie kommen von allein.“

Phänomen der „Lifestyle-Religiosität"

Angesprochen fühlen sie sich heute auch von „Sinnfluencern“ im Internet. In den sozialen Medien wird dem Thema Religion Raum gegeben, unterschiedliche Arten, Glauben zu leben, werden sichtbar. Jugendliche vernetzen sich mit religiösen Gemeinschaften, mit Gleichgesinnten, die sich mit Religion befassen, sie teilen inspirierende Zitate und diskutieren über ihren Glauben.

Angesprochen fühlen sie sich aber auch von einem Justin Bieber, der streng religiös ist und auf offener Bühne über Gott und Glaube, Erfüllung und Erlösung spricht. Oder eben: von Fußballstars. Zahlreiche von ihnen bekennen sich öffentlich zu ihrem Glauben. David Alaba, Lionel Messi, Neymar, Jérôme Boateng, um nur ein paar zu nennen. Eintätowierte Psalme, Bilder der Muttergottes, „Nur Gott kann mich richten“ als Motto oder ein Gebet an den „Vater im Himmel“. Mehrere muslimische Studienteilnehmer gaben an, Mesut Özil auf Instagram zu folgen, erzählt Astrid Mattes. Unter anderem deshalb, weil er freitags immer etwas Religiöses postet. „Wir sprechen in solchen Fällen von Lifestyle-Religiosität. Für die Jugendlichen waren solche Leute wichtige Identifikationsfiguren.“

Was die Stars auf dem Feld machen, ist „cool“, sie wirken stark, selbstbewusst, schöpfen ihre Kraft aus ihrem Glauben. Er wird übernommen. Wirklich nachhaltig? Das hänge davon ab, ob noch weitere besondere Erfahrungen oder Elemente hinzukommen, so Mattes, etwa eine umfassendere Beschäftigung mit religiösen Fragen oder die Begegnung in einer Gemeinschaft.

„Dadurch, dass viele Jugendliche mit Religion fast keine Berührung mehr haben, ist es für manche wahrscheinlich fremd und wird dadurch interessant“, erklärt sich Schönecker die Dynamik. Er selbst will seinen Schülern Religion greifbar machen, indem er die Fragen, die junge Menschen eben so haben, mit den Bibelgeschichten aufwirft. Die Bibel sei ein Buch, in dem es um Trauer und Hoffnung geht. Um Freundschaft, Liebe und Verrat, um Leben und Tod. „So weit ist das durchaus noch vergleichbar mit Shakespeare oder ,Harry Potter‘.“ Und was die Bibel darüber hinaus anbiete? „Es gibt einen Gott, der immer für uns da ist.“

Glauben nach innen und außen

Dass es eine Kraft gibt, aus der alles kommt und die alles durchdringt, glaubt auch die Steirerin Sarah Kulmer. In ihrer Jugend hatte sie noch ein traditionelleres Verständnis von Glauben, blickt sie heute zurück. „Ich habe mir eingebildet, mir bestimmte Regeln auferlegen zu müssen. Befolge ich sie, bin ich ein guter Mensch.“ Keinen Süchten verfallen, regelmäßig in die Kirche gehen, ein gemäßigtes Leben führen. Freunde suchen, die ähnlich eingestellt sind. „Manchmal ist mir schon aufgefallen, ich bin nicht gescheit integriert. Manchmal war es okay für mich, weil ich mich sowieso nicht anpassen wollte. Manchmal habe ich mich aber einsam gefühlt.“

Heute ist Sarah Kulmer von den selbstauferlegten Regeln abgewichen und ihr Verständnis von Gott hat sich weiterentwickelt. Bei einer Mystikerin hat sie gelernt, was es heißt, ihn zu erfahren. „Und dafür muss ich nicht unbedingt in einer Kirche sitzen.“ Auch Abigail Faffelberger genießt die innere Stärke, die ihr der Glauben gibt und die sie von überall spüren darf. „Es gibt Dinge, die lerne ich einfach von Gott, in der Stille, wenn ich Zeit mit ihm und seinem Wort verbringe.“

„Es scheint da eine tiefe Sehnsucht zu geben“, beobachtet auch Religionslehrer Schönecker, wenn er mit seinen Schülern in eine Kirche geht und eine Kerze anzündet. „Nach innen gehen, gerade in verrückten Zeiten, das tut ihnen manchmal gut.“ Auf der anderen Seite genießt Faffelberger die wertvollen Gespräche, die über Gott und die Welt entstehen, den offenen Austausch und Zusammenhalt in der Gemeinde. Der persönliche Glaube erfüllt so auch soziale Funktionen. Er kann ausschließen – aber auch verbinden. Er kann Fragen aufwerfen, zu Diskussionen anregen, Halt und Hoffnung geben. Jemand ist auch in dunklen Zeiten für mich da. Freilich lebt nur ein Bruchteil der Jugend Glaube und Religion so bewusst wie Abigail und Sarah. Wenn jetzt zu Ostern Jung und Alt in der Familie zusammenkommen, wird wohl auch eher das Zusammensein denn die Auferstehung Jesu gefeiert.

Aber so muss jeder zu seinem eigenen Glauben finden. Ohne Druck von außen oder auferlegte Maßstäbe. Sarah Kulmer jedenfalls ist überzeugt: „Ich glaube, dass meine Generation noch draufkommt, dass ein Glaube an eine unsichtbare, aber fühlbare Kraft helfen kann.“ Man hat dadurch etwas im Leben, worauf man vertrauen kann, etwas, was einem Sinn gibt, sagt sie. „Etwas zum Festhalten. Und eine Zuversicht. Gerade vor einer so unsicheren Zukunft. “

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2023)

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