Nachruf

Nürnberger Prozesse: Benjamin Ferencz, der letzte Chefankläger, ist tot

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FILES-US-HISTORY-TRIAL-FERENCZAPA/AFP/SAUL LOEB
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Die Rolle des 1920 geborenen US-Juristen geht weit über die Nürnberger Prozesse hinaus. Er gilt als Vater des Internationalen Strafgerichtshofs und führte den Begriff „Genozid“ in die Gerichtspraxis ein.

Der Chefankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen, Benjamin Ferencz, ist tot. Er starb am Freitag in einer Betreuungseinrichtung in Florida, wie US-Medien am Samstag (Ortszeit) unter Berufung auf seinen Sohn Don Ferencz meldeten. Der letzte noch lebende Ankläger der Prozesse wurde 103 Jahre alt. "Die Welt hat einen Anführer im Kampf für die Gerechtigkeit für Opfer von Genozid und damit verbundenen Verbrechen verloren", schrieb das US-Holocaust-Museum auf Twitter.

Ferencz wurde 1920 im damals ungarischen Siebenbürgen als Sohn orthodoxer Juden geboren und wanderte als Kind mit seinen Eltern in die USA aus. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen in New York auf und studierte dank eines Stipendiums später an der Elite-Universität Harvard. Der Jurist war nicht einmal 30 Jahre alt, als er Nazi-Kriegsverbrechern in Nürnberg den Prozess machte.

Vom 20. November 1945 an mussten sich in Nürnberg führende Nationalsozialisten und damit erstmals in der Geschichte Vertreter eines Unrechtsregimes vor Gericht verantworten. Die alliierten Siegermächte stellten 21 ranghohe Kriegsverbrecher wie Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und Reichsmarschall Hermann Göring vor ein internationales Gericht. Der Prozess endete nach fast einem Jahr mit zwölf Todesurteilen.

Ferencz prägte Begriff „Genozid“ 

Ferencz war Chefankläger in einem der zwölf sogenannten Nachfolgeprozesse, die von 1946 bis 1949 auf das Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher folgten. 24 führende SS-Leute klagte er unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen an. Vor den Prozessen war er als US-Soldat bei der Befreiung mehrerer Konzentrationslager dabei. Die Sühnung der deutschen Kriegsverbrechen wurde zu seinem großen Lebensthema.

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Die Ära der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geht langsam zu Ende. Das wirkt sich nicht nur auf die Erinnerungskultur aus, sondern auch auf die Forschung: Manche Fragen können erst heute gestellt werden.

Die historische Rolle des Juristen geht aber über die Bedeutung der damaligen Kriegsverbrecherprozesse hinaus. Denn Ferencz fügte nicht nur den Begriff "Genozid" in die Gerichtspraxis ein, er gilt auch als einer der Geburtshelfer des Internationalen Strafgerichtshofs. Mit fast 90 Jahren eröffnete er 2009 symbolisch das erste Plädoyer der Anklage des Gerichts in Den Haag.

"Bens beständiges Streben nach einer friedlicheren und gerechteren Welt umspannte fast acht Jahrzehnte und hat die Art, wie wir auf die schlimmsten Verbrechen der Menschheit reagieren, für immer bestimmt", sagte die Direktorin des US-Holocaust-Museums. "Er hat in Nürnberg Geschichte geschrieben und tat dies auch weiterhin während seines außerordentlichen Lebens."

(APA/DPA)

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