Neue Daten

Die Zahl der Wahlärzte steigt und steigt

Clemens Fabry
  • Drucken
  • Kommentieren

Der Trend ist weiterhin ungebrochen, wie ein Blick auf die vergangenen Jahre zeigt. Besonders betroffen sind die Fächer Kinderheilkunde und Gynäkologie, aber auch vor der Allgemeinmedizin macht dieses Phänomen nicht halt.

Die Entwicklung ist eindeutig und seit mindestens zehn Jahren zu beobachten: Während die Zahl der Kassenärzte – trotz Bevölkerungswachstums und einer älter sowie kränker werdenden Gesellschaft – sinkt, steigt die der Wahlärzte. Insbesondere in Wien, aber auch österreichweit. Die Gründe dafür sind naheliegend und wurden bei Befragungen von Ärzten und Patienten wiederholt ermittelt.

Fächer wie Kinder- und Jugendheilkunde sowie Frauenheilkunde und Geburtshilfe sind von diesem Trend besonders stark betroffen, mittlerweile aber auch die Allgemeinmedizin. Eine Gegenüberstellung der Zahlen von heute und 2011 (siehe auch Grafik ganz unten).

Wie viele Wahl- und Kassenärzte gibt es derzeit in Österreich?

Anfang April 2023 waren in Österreich 19.643 niedergelassene Ärzte gemeldet. 11.343 von ihnen haben keinen Kassenvertrag, sind also per Definition Wahlärzte. Das ergibt eine Differenz von 8300 Kassenärzten. 2011 ordinierten noch 8431 Ärzte mit Kassenvertrag – also mehr als heute, was angesichts der gewachsenen und kränker werdenden Bevölkerung beachtlich ist. Als Wahlärzte waren 7972 tätig. Insgesamt gab es somit 16.403 Ärzte mit Praxen.

Besonders deutlich ist der Anstieg der Wahlärzte in den Fächern Kinder- und Frauenheilkunde zu beobachten. Arbeiteten 2011 noch 240 Kinderärzte ohne Vertrag, sind es 2023 schon 356. Bei Gynäkologen nahm die Zahl von 685 auf 890 zu. In beiden Fächern ist die Zahl der Kassenordinationen im selben Zeitraum gesunken – bei Kinderärzten von 323 auf 307, bei Gynäkologen von 560 auf 486. Daher gelten sie als sogenannte Mangelfächer. Offene Stellen können trotz mehrfacher Ausschreibung nicht besetzt werden.

Bemerkenswert ist auch die Entwicklung bei den Hausärzten. Derzeit ordinieren in Österreich 6614 Allgemeinmediziner, davon 2623 ohne und 3991 mit Kassenvertrag. 2011 waren es insgesamt 6483, davon 2223 ohne und 4260 mit Kassenvertrag. In den vergangenen zwölf Jahren ist also die Zahl der Kassenärzte um 269 gesunken, während die der Wahlärzte um 400 gestiegen ist. Selbst in diesem Fach ist diese Entwicklung somit eindeutig zu registrieren. Darüber kann auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass es mittlerweile 39 Primärversorgungseinheiten (PVE) in sieben Bundesländern gibt, darunter jeweils zehn in Wien und Oberösterreich. Um den Rückgang an Kassenärzten auszugleichen, müssten es viel mehr sein.

Bei PVE handelt es sich um eine eigene Rechtsform von Gruppenpraxen mit deutlich längeren Öffnungszeiten als Einzelordinationen und einem breiteren Leistungsangebot – so sind in diesen Zentren neben (mindestens drei) Allgemeinmedizinern etwa auch Sozialarbeiter, Pflegekräfte, Hebammen, Ergotherapeuten, Psychotherapeuten, Ernährungs- und Diätexperten tätig.

Wie viele Wahl- und Kassenärzte gibt es derzeit in Wien?

5761 Ärzte sind in Wien derzeit tätig, 3906 ohne und 1855 mit Kassenvertrag. Zwölf Jahre früher sind es insgesamt 4530 Ärzte gewesen, 2265 von ihnen ohne und 2265 mit Kassenvertrag.

Die Tendenz zu mehr Wahl- und weniger Kassenärzten ist eindeutig und wiederum besonders deutlich bei Kinder- und Frauenärzten zu beobachten. Bei Ersteren gab es 2011 noch 57 Wahlarztordinationen, mittlerweile sind es 130 (bei 74 Kassenärzten), bei Zweiteren waren es 162 vor zehn Jahren und sind es 255 heute (bei 118 Kassenärzten).

Allgemeinmediziner ordinieren in Wien derzeit 1498, davon 786 ohne und 712 mit Kassenvertrag. 2011 waren es in Summe 1389, davon 564 ohne und 825 mit Kassenvertrag. Binnen zwölf Jahren ist also die Zahl der Kassenärzte um 113 gesunken, während die der Wahlärzte um 222 gestiegen ist.

Wie ist diese seit Jahren anhaltende Entwicklung zu erklären?

Der von Ärzten am häufigsten angegebene Grund für die Entscheidung, eine Wahlarztordination einer Kassenpraxis vorzuziehen, ist die Möglichkeit, mehr Zeit für die Patienten zu haben – insbesondere für Gespräche mit ihnen. Denn der Honorarkatalog im Kassensystem sieht für ein halbstündiges ärztliches Gespräch nur neun Euro brutto vor, weswegen diese Gespräche üblicherweise kurz gehalten werden. Wahlärzte hingegen verlangen häufig ein Vielfaches von dieser Summe – und viele Patienten sind bereit, dieses Honorar zu bezahlen, um mehr Zuwendung zu bekommen. Denn mehr Zeit für Gespräche zu haben ist auch für sie das am häufigsten genannte Motiv, Wahlärzte aufzusuchen. Letztlich ist der Trend zu mehr Wahlärzten also eine Absage an die sogenannte Drei-Minuten-Medizin.

Hinzu kommt der Umstand, dass Patienten bei Wahlärzten schneller Termine bekommen und es in den Ordinationen zu praktisch keinen Wartezeiten kommt. Darüber hinaus wollen viele Ärzte zusätzlich in einem Spital arbeiten, um dort beispielsweise wissenschaftlich tätig zu sein. Wer aber eine Kassenstelle annimmt, muss mindestens 20 Stunden geöffnet haben. Eine zusätzliche Anstellung in einem Krankenhaus ist kaum möglich.

Denn 20 Ordinationsstunden bedeuten üblicherweise das Zwei- bis Dreifache an tatsächlicher Arbeit, da ja auch beispielsweise Befunde gesichtet und Arztbriefe geschrieben werden müssen. Für Wahlarztordinationen gelten keine Mindestöffnungszeiten, weswegen gut die Hälfte aller Wahlärzte nebenher auch in einem Krankenhaus tätig ist, die meisten von ihnen Teilzeit. 

Wie arbeiten Wahlärzte – im Gegensatz zu Privatärzten?

Wahlärzte haben keinen Vertrag mit den Sozialversicherungsträgern. Sie verrechnen ihre Leistungen direkt mit dem Patienten über ein Privathonorar, das sich nicht an einen vorgegebenen Kassentarif halten muss, sondern vom Wahlarzt frei bestimmt wird.

Die Patienten dürfen die Honorare bei ihrer Sozialversicherung einreichen und bekommen 80 Prozent des Tarifs rückerstattet, den ein Arzt mit Kassenvertrag für die gleiche Leistung erhält. Was aber viele gar nicht machen, weil ihnen der bürokratische Aufwand zu hoch ist, um im Schnitt 20 bis 40 Euro zurückzubekommen. Denn selbstverständlich werden ihnen nicht wirklich 80 Prozent des bezahlten Betrags refundiert, da Wahlärzte für viele Untersuchungen deutlich mehr verlangen, als die Kassen zahlen. Dass nur 80 Prozent rückerstattet werden und nicht 100 Prozent, erklären die Kassen im Übrigen mit dem höheren administrativen Aufwand, der anfällt.

Privatärzte sind Mediziner, die neben einer Kassenpraxis Leistungen auch privat anbieten. Ihre Patienten haben – im Gegensatz zu jenen von Wahlärzten – kein Recht auf Rückerstattung eines Teils des Honorars.

Gregor Käfer

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

AUFNAHMETESTS FUeR MEDIZINISCHE UNIVERSITAeTEN WIEN
Berufspflicht

Sollen junge Ärzte verpflichtet werden, in Österreich zu bleiben?

Absolventen eines Medizinstudiums in Österreich zu behalten hätte gewiss einen Effekt. Aber auch einen langfristigen? Rechtlich umsetzbar wäre eine solche Maßnahme wahrscheinlich – wenn auch nicht so einfach.
Leitartikel

Drei dringende Maßnahmen gegen den Zerfall des Gesundheitssystems

Eine Reform der Kassenhonorare ist ebenso erforderlich wie die Finanzierung des ambulanten Bereichs aus einem Topf und deutlich mehr Nachsorgebetten zur Entlastung der Spitäler.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.