Moskau-Terror: "Das geht dir nicht mehr aus dem Kopf"

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Der Amstettner Erwin Gugerell entging nur knapp dem Anschlag in Domodedowo. Er musste seinen Kollegen Nikolaj I. im Leichenschauhaus des Moskauer Katastrophenschutzministeriums identifizieren.

Moskau. Die Konzentration fällt sichtlich schwer. Bilder des Grauens reißen ihn immer wieder aus dem Gedankenfluss. Kurz starrt Erwin Gugerell ins Leere, kratzt sich plötzlich am Ohr, während draußen vor dem Besprechungszimmer im Moskauer Büro Schritte an den Arbeitsalltag erinnern. Und runzelt dann wieder konzentriert die Stirn, um zu fassen, was nicht zu fassen scheint: „Ich kann es bis heute nicht glauben, weil es so irreal ist“, sagt er: „Solche Bilder gehen dir einfach nicht mehr aus dem Kopf.“

Gerade einmal 24 Stunden ist es her, dass der 43-jährige Amstettner seinen 41-jährigen Arbeitskollegen Nikolaj Ivanov am Dienstagabend im Leichenschauhaus des Moskauer Katastrophenschutzministeriums identifizieren musste.

Am Montagnachmittag war Gugerell gerade mal 45 Minuten vor Ivanov aus dem Zollbereich des Moskauer Flughafens Domodedowo in die Empfangshalle getreten, wo um 16.32 Uhr Ortszeit ein Selbstmordanschlag Ivanov und 34 weitere Personen in den Tod riss. „Ich dachte noch, ob ich auf Nikolaj warten sollte, damit wir gemeinsam in die Stadt fahren. Aber ich musste zu einem Termin.“

Bestätigung über zweite Tote

Das Geschäft für den österreichischen Möbelbauer Bene in Russland läuft der Wirtschaftskrise entsprechend. 102 Mitarbeiter zählt das Büro hinter dem Puschkin-Platz nahe dem Kreml. Gugerell hat die Repräsentanz als Verkaufsdirektor von 1993 an mitaufgebaut. Seit 1993 fliegt er im Ein- oder Zweiwochenrhythmus zwischen Wien und Moskau hin und her. So auch Ivanov, seit Anfang 2010 Finanzmanager bei Bene.

Und auch die Niederösterreicherin Heidemarie Wallner, 49-jährige Managerin der Deutschen Bank, hatte häufig von Wien aus in Moskau zu tun. Am Mittwoch wurde laut Totenliste des Katastrophenministeriums traurige Gewissheit, dass auch Wallner dem Anschlag zum Opfer gefallen war. Wallner war wie Gugerell mit dem AUA-Flug um knapp nach 15 Uhr in Moskau gelandet, Ivanov um 16.04 Uhr. „Vielleicht hatte Ivanov kein Gepäck mit, dass er so schnell in der Empfangshalle war“, grübelt Gugerell: „Und vielleicht musste die Bankmanagerin länger auf ihr Gepäck warten.“ Die Identifizierung von Wallner gestaltete sich offenbar schwieriger und wurde von einem Bankkollegen gemeinsam mit einem österreichischen Botschaftsvertreter vorgenommen. Gugerell will festgehalten wissen, dass sich die russischen Beamten angesichts der Situation sehr würdig verhalten haben.

Die Stimmung im Moskauer Bene-Büro ist gedrückt. Schon beim Bombenanschlag auf ein Moskauer Hochhaus 1999 war ein russischer Bene-Mitarbeiter ums Leben gekommen. „Ivanov hatte einen tollen Charakter, sehr ausgeglichen, sehr korrekt, sehr kollegial“, sagt Gugerell und blickt starr auf den Boden. „Manchmal muss ich mir ins Bein zwicken, weil ich nicht glauben kann, dass das alles geschehen ist.“ Der Trauerarbeit will er mit allen Mitteln eine Zukunftsperspektive geben: „Das Leben wird weitergehen müssen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2011)

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