Aktivismus

Rettungswagen blockiert: Ein Ereignis, viele Ungereimtheiten

Es habe nie eine Aufforderung der Polizei gegeben, einen Rettungswagen durchzulassen, beteuert die Gruppe.
Es habe nie eine Aufforderung der Polizei gegeben, einen Rettungswagen durchzulassen, beteuert die Gruppe.REUTERS
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Die Diskussion um einen blockierten Rettungswagen durch Klimaaktivisten hält an. Die Aktivisten sehen keinen Zusammenhang, die Polizei schon. Weiters behaupten sie, dass der Mann schon vor der Aktion gestorben sei. Die Rettung dementiert das.

Die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ steht erneut in der Kritik, diesmal aber nicht nur wegen Verkehrsbehinderungen, sondern aufgrund von schwerwiegenderen Vorwürfen. Mittwochfrüh soll ein Rettungswagen am Wiener Verteilerkreis in Favoriten durch die Blockade der Demonstrierenden am Weiterfahren gehindert worden sein. Der Patient verstarb noch vor dem Eintreffen der Einsatzkräfte am Einsatzort in Niederösterreich, ein Notarzthubschrauber war auch vor Ort.

Die „Letzte Generation“ gestand am Mittwoch einen Fehler ein, es sei diesmal verabsäumt worden, die Rettung vorab über die Verkehrsbehinderung in Kenntnis zu setzen. Das bestätigt auch die Wiener Rettung gegenüber der „Presse": „Gestern wurden wir nicht informiert." Das sei aber ohnehin nicht immer der Fall, zudem lasse sich nicht sagen, ob eine Vorwarnung die Einsatzbehinderung schmälere: "Es ist natürlich eine nette Geste, aber wenn es staut, staut es und dann kommen wir nicht durch."

Ungereimtheiten in den Aussagen

Kommentar

Was den Vorfall betrifft, wies die Klimaschutzgruppe aber jede Schuld von sich. In einem Statement der „Letzten Generation“ ist zu lesen: „Wie bei jedem unserer Proteste war auf einer Fahrspur niemand festgeklebt, um diese im Ernstfall sofort aufmachen zu können. Es gab kein Anzeichen eines Notfalls." Es habe außerdem nie eine Aufforderung der Polizei gegeben, einen Rettungswagen durchzulassen. Der Protest habe sich zudem „primär auf den von Süden kommenden Verkehr" ausgewirkt, während der Rettungswagen in die Gegenrichtung unterwegs war.>> Klimaaktivsten: Die Welt retten und dabei Menschenleben gefährden?

Die Polizei macht hingegen auf Ungereimtheiten in der Stellungnahme der „Letzten Generation“ aufmerksam. „Der Verteilerkreis ist ein Kreisverkehr“, betont Polizeisprecherin Irina Steirer, „dort staut es sich bei einer Behinderung ja nicht nur in eine Richtung, sondern im gesamten Bereich.“ Der betreffende Rettungswagen sei von der Grenzackerstraße in Richtung Altes Landgut unterwegs gewesen. Ungefähr 200 bis 250 Meter von jener Stelle, wo sich die Protestierenden am Schutzweg angeklebt hatten, habe es dann kein Durchkommen mehr gegeben. „Es ist zwar schön, wenn eine Spur frei bleibt“, erklärt Steirer, „aber wenn es sich bereits nach hinten staut, bringt das auch nichts mehr."

Klimakleber könnten Rettung übersehen haben 

Was aber passiert generell, wenn ein Rettungsauto im Stau steht? Führt das „Lautmachen“ (per Horn und Blaulicht) bei einem Einsatz nicht zu einem Durchkommen, erklärt Andreas Zenker, Pressesprecher für das Niederösterreichische Rote Kreuz, erfolgt eine Staumeldung an die Leitstelle. Wenn ein anderes Rettungsfahrzeug in der Nähe und verfügbar ist, wird dieses ebenfalls zum Einsatzort geschickt. Gerade im Frühverkehr in Wien sei aber das laut Zenker oft nicht der Fall.

Dass die Gruppe den Rettungswagen nicht bemerkt habe, schließt die Polizei nicht aus. Eine direkte Aufforderung an die Demonstrierenden, den Weg freizumachen, habe es tatsächlich nicht gegeben, räumt Irina Steirer ein, denn: „Jemanden zu bitten, aufzustehen, der an der Straße festklebt, hat nicht viel Sinn.“ Stattdessen seien die Beamten „nach hinten gegangen und haben versucht, Zentimeter für Zentimeter Autos zu schlichten“. Als das schließlich gelungen war, konnte der Rettungswagen über die Mitte der Verkehrsanlage weiterfahren.

Mann erst gegen 9.14 Uhr für tot erklärt

Für den 69-jährigen Patienten, der in Niederösterreich einen Kreislaufstillstand erlitten hatte, kam die Hilfe aber zu spät. Im Statement der „Letzten Generation“ ist zu lesen: „Der Verstorbene wurde vor Ort bereits von Einsatzkräften eines Notarzthubschraubers versorgt, und noch vor Protestbeginn für tot erklärt.“ Das stimme nicht, sagt Zenker vom Roten Kreuz, das mit einem Rettungsdienst aus Schwechat und einem C9-Hubschrauber bereits vor Ort war. Gegen 8 Uhr sei der Notruf eingegangen, erst gegen 9 Uhr 14 sei der Mann für tot erklärt worden. Die Protestaktion der „Letzten Generation“ am Verteilerkreis hat gegen 8 Uhr gestartet.

Ob es einen maßgeblichen Unterschied gemacht hätte, wenn der Wiener Rettungswagen besser durch den Verkehr gekommen wäre, lässt sich laut Zenker nicht eindeutig sagen. Beide Rettungsteams vor Ort hätten sich über eine Stunde um den Patienten bemüht. Fest stehe aber, sagt Zenker, dass bei einem Kreislaufstillstand jede Sekunde zählt: „Pro Minute sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent."

Rechtliche Konsequenzen

Falls in einem durch Blockaden ausgelösten Stau (auch) Einsatzfahrzeuge aufgehalten werden, ist es schwierig, strafrechtliche Ansatzpunkte zu finden; auch zivilrechtliche Ansprüche sind diesfalls kaum durchzusetzen – unabhängig davon, ob es um Einsatzfahrzeuge oder Privatfahrten geht. Man kann also den durch einen verpassten Geschäftstermin entstandenen Schaden nicht einklagen. Denn es besteht im Straßenverkehr kein Anspruch auf freie Fahrt. Jeder x-beliebige Unfall, der zu Staus führt, kostet Zeit – das liegt im Wesen des Individualverkehrs.

Kleben sich Aktivisten jedoch gezielt vor einer Rettungs- oder einer Feuerwehrausfahrt an, wird die Aktion nicht nur verwaltungsrechtlich (Verkehrsdelikte), sondern auch strafrechtlich relevant: Dann kämen Tatbestände wie Gefährdung der körperlichen Sicherheit oder etwa – falls Menschen zu Schaden kommen – fahrlässige Körperverletzung in Betracht.

Vier Mitglieder der "Letzten Generation" wurden diesmal jedenfalls angezeigt. In einer Aussendung der Polizei heißt es konkret: Vier Aktivistinnen und Aktivisten wurden „gemäß dem Strafgesetzbuch (§ 89) und der Straßenverkehrsordnung (§26 Abs. 5) angezeigt“. Ihnen drohen Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten oder Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen, sollte sich herausstellen, dass sie grob fahrlässig gehandelt haben.

Am Montag geht es ungeachtet der jüngsten Ereignisse weiter mit den Protesten. An diesem Tag hat die Letzte Generation laut Polizei eine „Großaktion“ angekündigt.

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