Österreich, in der EU längst ein lästiger Außenseiter

Peter Kufner
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Österreich wirkt innerhalb der EU häufig als Bremser. Zu oft hat es das Voranschreiten zu mehr Integration sogar aktiv behindert.

Vor einigen Tagen hatte eine Gruppe von EU-Staaten gefordert, dass auch im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nicht wie bisher einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird. Die Initiative wurde getragen von allen Kernstaaten der Union und, bemerkenswert, auch von Slowenien und Finnland, bis vor Kurzem neutral.

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Für Europa hat sich die sicherheitspolitische Lage in den vergangenen fünfzehn Jahren stark verschlechtert: durch die Schwächung der Vereinten Nationen und der gesamten multilateralen Weltordnung, durch die erratischere und zunehmend nationalistische Politik der USA, durch die Machtansprüche Chinas – und nicht zuletzt durch den Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine. Als Antwort darauf muss die EU rasch und entschlossen handeln können. Die dabei zurzeit noch erforderliche Einstimmigkeit bei einschlägigen Beschlüssen steht dem entgegen.

Die Ukraine ist seit Sommer 2022 Kandidat für einen Beitritt zur Union. Beitrittskandidaten sind aber schon seit vielen Jahren die Staaten des sogenannten Westbalkans. Die politische Lage macht es nun notwendig, die Beitrittsverhandlungen endlich aufzunehmen bzw. abzuschließen. Es wird danach statt der jetzt 27 insgesamt 34 EU-Staaten geben. In sicherheits- und außenpolitischen Fragen wird es schon wegen der vergrößerten Zahl von Stimmberechtigten noch mühsamer sein, zu einstimmig gefassten Beschlüssen zu kommen.

Mühsame Einstimmigkeit

Will man vermeiden, dass Europa dadurch handlungsunfähig und zum passiven Objekt außenstehender Mächte wird, dann muss man dem Vorschlag der erwähnten EU-„Kerngruppe“ gemäß in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik vom Prinzip der Einstimmigkeit abgehen und Beschlüsse auch mit einer qualifizierten Mehrheit fassen können.

Das entspräche auch dem türkis-grünen Regierungsübereinkommen, das sich für „die Annahme von Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit in zusätzlichen Bereichen (z. B. Außenpolitik)“ ausspricht. Das hat Bundeskanzler Karl Nehammer aber nicht gehindert, bei einem Festakt im Parlament von dieser Forderung ausdrücklich abzurücken. In Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik müsse Österreich auf dem Prinzip der Einstimmigkeit beharren. Der Kanzler hat sich bei dieser Gelegenheit als „glühenden Europäer“, bezeichnet. Das ist irreführend. Er scheint vielmehr eher an einer Schwächung als an einer Stärkung der Union interessiert zu sein. Denn einen „Zentralismus“ in der EU lehnt er ab. Die Vereinigten Staaten, die USA, sollten Europa nicht zum Vorbild werden und das Ziel, die Vereinigten Staaten Europas zu schaffen, sei abzulehnen. Vorrangig sollte demgegenüber das „Subsidiaritätsprinzip“ gelten, das ja schon der Kurz-Strache-Regierung als Richtschnur gedient hätte. Demnach sollte die Zuständigkeit für viele Entscheidungen von „Brüssel“ in die der Mitgliedstaaten zurückgeholt werden.

Österreich, Kernland Europas?

Das rückt den Kanzler und seine Regierung in die Näher jener, die sich ein „Europa der Nationen“ wünschen, so wie es zuletzt in Orbáns Ungarn von rechtsextremen Bewegungen und Parteien beim Conservative Political Action Congress gefordert worden ist.

Meinungsumfragen zeigen aber, dass sich eine Mehrheit der österreichischen Bevölkerung ein starkes Europa wünscht. Diesem Wunsch der Bevölkerung entspräche auch der oft vorgetragene Anspruch Österreichs, eines der Kernländer Europas zu sein und sich als solches um diese Stärkung Europas bemühen zu wollen. Im tatsächlichen Mitwirken Österreichs an der Europäischen Integration findet dieser Anspruch allerdings keine Entsprechung. Nicht nur in der Frage, ob in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht länger einstimmig entscheiden werden muss, sind wir weit von jenen Kernländern entfernt, welche sich um das engere Zusammenwachsen Europas bemühen. Die Distanz besteht auch in anderen Bereichen. Dabei wirkt Österreich oft nicht bloß als Bremser. Vielfach hat es das Voranschreiten zu mehr Integration sogar aktiv behindert.

Dazu einige Beispiele: In der Finanzkrise der Jahre 2008 bis 2014 hatte die Euro-Gruppe allzu lang gezögert, jenen „Stabilitätsfonds“ zu schaffen, durch den Ländern geholfen wird, die von der Finanzkrise am direktesten bedroht waren. Ein Staatsbankrott dieser Länder hätte die gemeinsame Währung und damit alle Staaten der Eurozone nachdrücklich gefährdet. Das zu vermeiden lag auch im Interesse Österreichs mit seinen im Ausland stark exponierten Banken. Aber statt in vorderster Front für die Schaffung eines möglichst großzügig dotierten Stabilitätsfonds zu kämpfen, hat sich Österreich unter die Zauderer gereiht, die den Fonds möglichst kleinhalten wollten. Mehrere Jahre später kann Österreich davon profitieren, dass es sich damals mit seiner Engstirnigkeit nicht durchgesetzt hat. Ein großzügig ausgestatteter Stabilitätsfonds war wirksam. Der Euro ist nicht länger bedroht.

Schon seit mehreren Jahren kann sich Österreich nicht ausreichend mit Elektrizität aus eigener Erzeugung versorgen. Es muss Strom importieren, darunter – auf direktem oder indirektem Wege – Strom, der in Atomkraftwerken oder in das Klima besonders schädigenden Kohlekraftwerken erzeugt wird.

Die EU wollte nun die Umstellung beschleunigen, durch welche die auf fossilen Brennstoffen gestützte Elektrizitätserzeugung durch eine weniger klimaschädliche ersetzt wird. Dabei war darüber zu entscheiden, wie diese Umstellung von den EU-Mitgliedstaaten gefördert werden darf. Zuletzt sprach sich eine Mehrheit von Staaten dafür aus, dass auch die Stromerzeugung aus Atomkraftwerken als förderungswürdig gewertet wird. Vom Ausbau der Atomkraftwerke würde auch Österreich profitieren, da es, wie erwähnt, zunehmend auf Importe von Elektrizität angewiesen ist. Das hat Österreich aber nicht an dem Versuch gehindert, beim EuGH eine Aufhebung des Beschlusses über die Förderungswürdigkeit von Atomkraft einzuklagen.

Der Autor

Thomas Nowotny (*1937) ist ehemaliger Diplomat, Dozent für Politikwissenschaft, Autor und Mitglied der Sektion Acht der SPÖ Alsergrund. Zwischen 1970 und 1975 war er Sekretär im Büro von Bundeskanzler Bruno Kreisky. [ ORF/Pammer-Film]

Die Liste ähnlicher Aktionen und Entscheidungen lässt sich unschwer fortsetzen: das Zögern, die Europa gefährdende Politik des ungarischen Autokraten Orbán zu verurteilen, das österreichische Veto gegen den beschlossenen Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum, die fehlende Zustimmung zum ausverhandelten Freihandelsabkommen mit südamerikanischen Staaten (Mercosur).

Nicht zu Gegenleistung bereit

Artikel42/7 des Europa-Grundvertrags verpflichtet die Mitgliedstaaten zu Hilfe an einem anderen Mitgliedstaat, wenn dieser angegriffen wird. Würde Österreich militärisch bedroht, könnte es sich auf diese Bestimmung berufen und militärische Hilfe von anderen Staaten einfordern.

Nach österreichischer Ansicht gilt das aber nicht in umgekehrter Richtung. Österreich wäre wegen seiner Neutralität nicht verpflichtet, einem anderen EU-Staat Hilfe zu leisten, wenn dieser angegriffen würde. Österreich hat von der Verdichtung und Erweiterung der EU stark profitiert. Zu entsprechenden Gegenleistungen im Sinn einer europäischen Solidarität ist es aber oft nicht bereit.

E-Mails: debatte@diepresse.com

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