EU-Gipfel einig: AKW-Stresstests kommen

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BELGIUM EU SUMMIT (c) EPA (Olivier Hoslet)
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Alle Atomanlagen in der Europäischen Union sollen bis Jahresende von nationalen Behörden überprüft werden. SP-Kanzler Werner Faymann ortet zunehmende "Nervosität" unter den Atomenergie-Befürwortern.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich auf öffentliche AKW-"Stresstests" zur Überprüfung aller Atomanlagen in der Europäischen Union bis zum Jahresende geeinigt. "Die Bewertung wird durch unabhängige nationale Behörden durchgeführt", heißt es in der EU-Gipfelerklärung vom Freitag in Brüssel.

Die Ergebnisse würden mit der EU-Kommission und der europäischen hochrangigen Gruppe für nukleare Sicherheit und Abfallentsorgung (ENSREG) geteilt. Die EU-Kommission wurde beauftragt, die "ersten Resultate" bis Jahresende zu bewerten. Zweifel an der Unabhängigkeit der Tests wurden laut.

Faymann: "Zerrissene Situation"

Bundeskanzler Werner Faymann sagte, die Gipfelergebnisse stellten mehr Transparenz als bisher sicher. Insgesamt zeige sich zur Atomdiskussion "eine zerrissene Situation in der EU", sagte der Bundeskanzler. So habe Bulgarien argumentiert, dass es wesentlich mehr Verkehrsunfälle als Unfälle in AKW gebe. Österreich sei von Irland, Griechenland, Luxemburg und der EU-Kommission unterstützt werden.

Der Bundeskanzler betonte, die "Stresstests" müssten auch Konsequenzen haben. Dies wäre "die Nagelprobe". "Ich verstehe Abschaltungen darunter, außer mit Nachrüstungen wäre höchster Standard erreichbar." Faymann bekräftigte die Absicht, eine europaweite Anti-Atom-Bürgerinitiative zu starten, wenn das neue EU-Instrument ab April vorliege. Die einfachste Fragestellung wäre, ein Szenario des Atomausstiegs erarbeiten zu lassen, andere Ansatzpunkte wären umweltpolitische Zielsetzungen der EU zur CO2-Reduktion und der Anteil an Erneuerbaren und der Umfang der ausgegebenen EU-Mittel. "Das bietet sich als juristisch wasserdichte Möglichkeit an", sagte Faymann. Eine direkte Frage nach Abschalten von Kernkraftwerken in einzelnen EU-Staaten sei wegen der nationalen Kompetenz nicht möglich.

Kanzler ortet "Nervosität"

Faymann sieht unter den Atom-Befürwortern zunehmende "Nervosität". Diese hätten sich auch in viele Widersprüche verwickelt. Etwa wenn Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy versichere, dass die Kernkraftwerke in seinem Land die sichersten seien, bedeute dies im Umkehrschluss dass andere unsicherer wären. Die Argumentation, wonach Atomenergie "ein Paradies gegen CO2" sei, sei zusammengebrochen.

EU-Ratsvorsitzender Herman Van Rompuy erklärte, die Modalitäten für solche Belastungstests in ganz Europa und wenn möglich weltweit sollten einheitlich sein. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso konzedierte, dass "wir heute noch nicht sagen können, wie wir das ganze in Angriff nehmen werden". Die Kommission werde einen Vorschlag über die Vorgehensweise unterbreiten, nach der "sämtliche Atomkraftwerke in Europa einer Inspektion unterzogen werden". Alle Anlagen sollten einem solchen Test unterworfen werden, dann werde es einen Bericht geben, der einem EU-Gipfel noch vor Jahresende vorgelegt werde. Sowohl Barroso als auch Van Rompuy zeigten sich zurückhaltend, was allfällige Konsequenzen wie das notwendige Schließen von schlechten Atomkraftwerken betrifft.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ließ sich darauf ebenfalls nicht ein. Darüber wolle sie "nicht spekulieren". Der Energiemix liege ja auch in der Zuständigkeit der EU-Länder. Die Staaten würden selbst ihre Energieversorgung bestimmen, "eine andere Frage ist die Sicherheit. Die ist für alle EU-Länder gleichermaßen relevant wichtig". Merkel zeigte sich überzeugt, dass "wir bei der AKW-Frage einen großen Schritt vorangekommen sind. Die Lehre aus Japan muss ein einheitlicher Stresstest in Europa sein".

Zuvor hatte Umweltminister Niki Berlakovich (ÖVP) die EU-Staats- und Regierungschefs aufgefordert, "unabhängige, lückenlose Stresstests" zu beschließen. "Diese Tests wären einzigartig in der Geschichte Europas, eine völlig neue Entwicklung, denn bisher lagen alle AKW-Fragen ausschließlich in der Kompetenz der Nationalstaaten."

Grüne: "Atomindustrie prüft sich selbst"

Die Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig, kritisierte: "Die heute von der EU geforderten Stresstests sind ein Placebo und nur dazu da, die Bevölkerung in falscher Sicherheit zu wiegen und der Atomlobby Zeit zu verschaffen, bis Gras über die Katastrophe in Japan gewachsen ist." Die Günen sehen ihre Befürchtungen bestätigt. Die Tests würden völlig unverbindlich und ohne Beteiligung unabhängiger Experten durchgeführt werden. Die Koordinierung und Durchführung der Tests solle federführend bei der Atomindustrie und deren Aufsichtsbehörden liegen. "Das bedeutet: Die Atomindustrie prüft sich selbst."

(Ag.)

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