Steuerschlupflöcher kosten die USA 300 Milliarden Dollar

(c) AP (Lee Jin-man)
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Das poröse Steuersystem führt zu dem Paradoxon, dass nur knapp die Hälfte der amerikanischen Haushalte - dank Vielzahl an Abschreibposten oder schlicht wegen ihres geringen Einkommens - Einkommensteuer bezahlt.

Washington. Eric Schoenberg ist eine Ausnahmeerscheinung. „Halten Sie es für verantwortungsvoll, dass jemand wie ich nur ein Prozent an Einkommensteuern zahlt?“, fragt der Dozent eines Wirtschaftskurses an der Columbia University seine Studenten. Der einstige Investmentbanker, der obendrein über ein stattliches Erbe verfügt, hat im Jahr 2009 etwas mehr als 200.000 Dollar verdient und nach Ausnützen aller Abschreibemöglichkeiten gerade einmal 2000 Dollar an die US-Steuerbehörde IRS abgeführt. Er betonte, liebend gerne mehr Steuern zahlen zu wollen. Deshalb hat er sich auch der Organisation „United for a Fair Economy“ angeschlossen, die sich für mehr Steuergerechtigkeit in den Vereinigten Staaten einsetzt.

Schoenberg steht damit im krassen Widerspruch zur Mehrheit seiner Mitbürger. Am Montag trommelte die Tea Party ihre Anhänger im ganzen Land zu Dutzenden Kundgebungen zusammen, zu einer Demonstration gegen Obrigkeit, Willkür und Steuerverschwendung. Sie hat den „Tax Day“, an dem die Frist für die Steuererklärung ausläuft und der im Kalender der US-Steuerzahler und Steuerberater rot angestrichen ist, seit ihren ersten Aufmärschen vor zwei Jahren zum Protesttag umfunktioniert.

Jede Menge Ausnahmen

Dabei ignorieren die vehementen Vorkämpfer gegen zu viel Staat eine Studie des Tax Policy Center, eines Thinktanks in Washington. In Zeiten, in denen die US-Politik mit Feuereifer über das Budgetdefizit, über die Anhebung des gesetzlichen Schuldenlimits und über Steuererhöhungen diskutiert, entgehen dem Fiskus zumindest 300 Dollar-Milliarden an Steuern. Das poröse System führt zu dem Paradoxon, dass heuer knapp die Hälfte der US-Haushalte – 45 Prozent – dank der Vielzahl an Abschreibposten und Ausnahmeregelungen oder auch schlicht wegen ihres geringen Einkommens keine Steuern zahlen werde, schätzt die Denkfabrik.

Die Höchstgrenze für Topverdiener liegt theoretisch bei 35 Prozent, effektiv aber nur bei der Hälfte. Außerdem stehen die zehn Prozent der Spitzenverdiener für mehr als Hälfte des Steueraufkommens. Überdies bauen karitative Organisationen auf Spenden der Millionäre und Milliardäre, die zur Gänze absetzbar sind. Viele haben ihr Vermögen ohnehin längst in steuerschonende Stiftungen transferiert.

Die durchschnittliche Rate für die Einkommensteuer ist laut dem Institut auf 9,3Prozent gefallen. Allein im Vorjahr hätten 35Millionen Amerikaner wegen ihrer Hypothekenschulden Steuerbefreiungen in Anspruch genommen. Zudem erfreuten sich die Amerikaner an einer durchschnittlichen Steuerrückzahlung von 3000Dollar. Das korrespondiert mit einem Fall, der jüngst große Aufmerksamkeit erregt hat. General Electric, eines der prestigeträchtigsten Unternehmen des Landes, hat im Vorjahr trotz eines Gewinns von fünf Mrd. Dollar aufgrund von Umschichtungen ins Ausland, sogenannter „Offshore“-Transaktionen, in den USA keinen Cent Steuer bezahlt.


Obama verdiente 1,7Millionen Dollar. In einer Rede, in der er vorige Woche sein Sparprogramm skizziert hat, hat Präsident Barack Obama neuerlich von der Notwendigkeit einer Reform des Steuersystems und des Schließens von Schlupflöchern gesprochen. „Die Höhe der Steuer soll nicht davon abhängen, welchen Steuerberater man sich leisten kann“, formulierte Obama. Als Zeichen der Transparenz veröffentlichte das Weiße Haus das Einkommen des Präsidenten: 1,7 Millionen Dollar – fast drei Viertel davon aus Buchtantiemen –, von denen er 450.000 Dollar an Steuern zahlte.

Die Litanei einer radikalen Steuervereinfachung hat bereits Ronald Reagan gepredigt. Der Teufel steckt im Detail. Von den Ausnahmeregelungen profitieren alle Einkommensklassen. Ob unter Republikanern oder Demokraten: Der Steuermoloch ist in den vergangenen drei Jahrzehnten ausgewuchert. Und der Spitzensteuersatz ist von 90 Prozent unter Franklin D. Roosevelt auf 35 Prozent gesunken.

Leuten wie Eric Schoenberg legt der republikanische Senator Orrin Hatch, ein Veteran im Finanzausschuss, den simplen Rat ans Herz, dem IRS einen Spendenscheck auszustellen. Doch Schoenberg geht es ums Prinzip: „Sollen Freiwillige jetzt schon das Verkehrs- oder das Erziehungssystem finanzieren?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2011)

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