Die letzten 40 Minuten des Terrorpaten

This frame grab from video obtained exclusively by ABC News, on Monday, May 2, 2011, shows a section
This frame grab from video obtained exclusively by ABC News, on Monday, May 2, 2011, shows a section (c) AP ()
  • Drucken

Ein Bote führte die USA auf die Spur des al-Qaida-Chefs Osama Bin Laden. Am Montag schlugen die Navy Seals in Pakistan zu.

Abottabad/Wien. Der spektakulären Kommandoaktion, die am Montagmorgen mit dem Tod des Terrorpaten Osama bin Laden endete, waren akribische Vorbereitungen vorangegangen. Seit vergangenem September hatten die US-Geheimdienste einen Gebäudekomplex in Abbottabad, einer 100.000-Einwohner-Stadt rund 50 Kilometer nördlich der Hauptstadt Islamabad, unter Beobachtung. Die „New York Times“ zitiert einen ihrer Informanten mit den Worten: „Wir haben seit Monaten auf diesen Gebäudekomplex gestarrt, um herauszufinden, ob wir genug in der Hand haben [um zuzuschlagen].“ Man habe „das Ziel“ – al-Qaida-Chef Osama bin Laden– „Jahre um Jahre um Jahre“ gesucht und schließlich den „Mann gefunden, der uns zu dem Mann geführt hat, der uns schließlich zu dem Mann geführt hat“. Dieser Mann, der die US-Geheimdienste zu Osama bin Laden führte, war ein Kurier, der Botschaften von und zu Osama bin Laden brachte.

Diesem Botengänger, wussten die Geheimdienstleute, vertraute bin Laden seit Langem. Der Bote stand einem engen Vertrauten bin Ladens sehr nahe: dem Mastermind der Anschläge vom 11.September, Khalid Sheikh Mohammed, der im März 2003 gefasst wurde und im US-Stützpunkt Guantánamo in Haft sitzt.

Wenn man diesen Kurier lokalisieren konnte, dann würde dessen Spur irgendwann zum Kopf der al-Qaida führen, so die Hoffnung der Bin-Laden-Jäger.

Vor vier Jahren soll es dann gelungen sein, die Identität dieses mysteriösen Mannes zu lüften, 2009 konnten die Geheimdienstleute das Gebiet eingrenzen, in dem der Botengänger sich aufhielt.

Im vergangenen August verfolgten sie seine Spur schließlich zu einem am Ende einer engen Schotterstraße gelegenen Gebäude in Abbottabad.

Ein höchst auffälliger Bau, acht Mal größer als die anderen Gebäude in der Nachbarschaft: Eine hohe, stacheldrahtbewehrte Mauer umschließt ein Gebäude, das kaum Fenster hat. Man kann davon ausgehen, dass das Gebäude spätestens von da an unter ständiger US-Beobachtung stand. Satellitenfotos, Überflüge mit Spionageflugzeugen, Lauschangriffe sowie in der Nähe arbeitende Spitzel – das waren wohl die Mittel, die eingesetzt wurden, um dahinterzukommen, ob der Gebäudekomplex tatsächlich Osama bin Laden beherbergte.

Was wusste Pakistan?

Pikantes Detail: Der Gebäudekomplex liegt in der Nähe der Kakul-Militärakademie der pakistanischen Armee. Die ohnehin immer stärker belasteten Beziehungen zwischen den USA und Pakistan werden durch die spektakuläre US-Kommandoaktion auf pakistanischem Territorium auf die bisher schwerste Probe gestellt. Zuletzt hatte Pakistan den Ärger Washingtons erregt, als Islamabad bei einem Treffen in Kabul dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai nahelegte, die Bande zu den USA zu lösen und sich stärker auf Pakistan und seinen chinesischen Verbündeten zu verlassen. Die „Wall Street Journal“-Enthüllung hatte in Washington einigen Staub aufgewirbelt.

Am 14. März wurde im Weißen Haus die erste Sitzung eines kleinen, für die nationale Sicherheit verantwortlichen Teams unter dem Vorsitz von Präsident Barack Obama einberufen. Vier weitere Treffen folgten, bis Obama sein Team am vergangenen Freitag um 8.20 Uhr im Diplomatic Room im Erdgeschoß des Weißen Hauses versammelte. Neben Präsident Obama waren nach „New York-Times“ Sicherheitsberater Thomas Donilon und der oberste Terrorismusbekämpfer John O.Brennan anwesend. Obama war auf dem Sprung zu einer Reise in die von Tornados heimgesuchten Dörfer in Alabama und autorisierte unmittelbar vor seinem Abflug den streng geheimen Kommandoeinsatz.

Pakistan wurde nach einem Bericht der „New York Times“ über die US-Pläne zunächst im Dunkeln gelassen.

1.20 Uhr: Die Seals schlagen zu

Gegen ein Uhr in der Nacht flogen zwei CH-47 Chinook-Hubschrauber – riesige Fluggeräte mit zwei Rotoren – sowie zwei Blackhawk UH-60, wie sie auch das österreichische Bundesheer verwendet, im Konturenflug über die afghanisch-pakistanische Grenze, 20 Minuten später waren sie über dem Zielobjekt. 25 Spezialkräfte sollen sich voll bewaffnet abgeseilt haben, insgesamt rund 40 Spezialeinheiten an der Operation beteiligt gewesen sein.

Vermutlich handelt es sich bei den meisten Kommandos, die an der Aktion teilnahmen, um Mitglieder einer streng geheimen Marine-Spezialeinheit, die auf derartige Operationen trainiert ist: der United States Naval Special War-fare Development Group, früher „Seal Team Six“ genannt (Seal = Sea Air Land).

Man kann auch davon ausgehen, dass eine Reihe weiterer Fluggeräte im Einsatz gewesen ist.

Was ab etwa 1.20 Uhr morgens geschah, darüber gibt es allerdings kaum überprüfbare Informationen: Ein Team der Spezialeinheit könnte den Zugang zum Gelände gesichert haben, um zu gewährleisten, dass niemand mehr in das Gelände hinein- oder aus dem Gelände herauskommt.

Bin Laden stirbt durch Kopfschuss

Weitere Teams wurden offenbar bald in Feuergefechte verstrickt: Ein Helikopter hat – möglicherweise nach Treffern – eine harte Landung hingelegt und musste später von US-Kräften demoliert werden, um die geheime Spezialausstattung zu zerstören.

Unterdessen waren andere Einheiten in Schießereien mit bin Ladens innerem Zirkel verwickelt. Der Terrorpate selbst wurde nach Angaben von US-Quellen gestellt und nach Gegenwehr durch einen Schuss in den Kopf getötet, wie offiziell verlautete.

Freilich: Regierungsvertretern kommt sein Tod nicht ungelegen, eine Verhaftung hätte das Weiße Haus vor eine Reihe von Problemen gestellt: Wohin mit dem wichtigsten Häftling der USA? Wie und wo kann ein Prozess gegen ihn organisiert werden? Dass die Leiche bin Ladens nach dessen Identifizierung rasch im Meer bestattet wurde, passt ins Bild: Offenbar wollte man vermeiden, dass sich bin Ladens letzte Ruhestätte zu einem Pilgerziel entwickelt – auch wenn es bereits erste Kritik am nassen Grab für bin Laden gibt.

Nach Gerüchten könnten die USA zu einem späteren Zeitpunkt Beweisfotos des toten Terrorpaten veröffentlichen. Auf den Bildern sei zu sehen, dass bin Laden eine Schusswunde am Kopf erlitten habe, zitiert CNN Regierungsbeamte. Ein Abgleich des Erbguts zwischen Verwandten und der Leiche soll die Identität bin Ladens zweifelsfrei klären.

Der Spuk war schnell vorbei

Den Feuergefechten zum Opfer fielen auch ein Sohn bin Ladens, zwei von bin Ladens Kurieren und eine Frau, die angeblich von einem der al-Qaida–Leute als lebendes Schutzschild verwendet wurde.

Lifeblogger Sohaib Athar, ein Computerexperte aus Abbottabad, berichtete unterdessen live auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Ein riesiger Knall. Ich hoffe, dass das nicht der Beginn eines unguten Ereignisses ist.“ Er hatte zu diesem Zeitpunkt natürlich keine Ahnung, was vor sich ging, wurde aber Zeuge der ungewöhnlichen Militäraktion in seiner Nachbarschaft.

Nach 40 Minuten war der Spuk vorbei, nach Angaben von US-Präsident Barack Obama ist bei der Aktion kein US-Soldat ums Leben gekommen.

Nachdem bin Laden bei der Schlacht um Tora Bora in Afghanistan – kurz nach dem Sturz der Taliban im Winter 2001 – seinem Vorgänger George W. Bush entwischt war, konnte US-Präsident Barack Obama in einer nächtlichen Fernsehansprache dem amerikanischen Volk mitteilen: „Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der mutmaßliche Chefplaner Khalid Sheikh Mohammed
Außenpolitik

US-Militär strebt Todesstrafe für mutmaßliche 9/11-Drahtzieher an

Das Verfahren gegen den mutmaßlichen Chefplaner Khalid Sheikh Mohammed und vier weitere Verdächtige wurde an ein Militärtribunal in Guantanamo weitergeleitet.
Guantanamo: 9/11-Verdächtige angeklagt
Außenpolitik

Guantanamo: 9/11-Verdächtige angeklagt

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Chefplaner der Anschläge, Khalid Sheikh Mohammed, und vier weitere Verdächtige rückt näher. Ihnen wird unter anderem Terrorismus, Mord und Flugzeugentführung vorgeworfen.
Außenpolitik

Ergreifung bin Ladens: Neue Folter-Debatte in den USA

Einige Republikaner behaupten, ohne die von ihnen forcierten Verhörmethoden hätte man den Terrorpaten nicht gefunden, der Erfolg sei auf „Waterboarding“ zurückzuführen.
Atombombe Europa alQaida angeblich
Außenpolitik

Atombombe in Europa: Was al-Qaida angeblich plante

Neue Wikileaks-Enthüllungen: Der Drahtzieher des 9/11-Terrors sprach in Verhören von einem "atomaren Höllensturm" und Anschlägen auf Heathrow und die Brooklyn Bridge.
GuantnamoHaeftling kommt blauem Auge
Außenpolitik

Guantánamo-Häftling kommt mit blauem Auge davon

Ein New Yorker Gericht verurteilte den Tansanier Ahmed Ghailani wegen Verschwörung, nicht jedoch wegen Mords. Die Verfechter von Militärtribunalen gegen mutmaßliche Terroristen bekommen durch Urteil neuen Auftrieb.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.