Südsudan: Die Geburt des 194. Staates

Suedsudan Geburt Staates
Suedsudan Geburt Staates(c) REUTERS (THOMAS MUKOYA)
  • Drucken

Der Südsudan ist am Ziel: Unter frenetischem Jubel der feiernden Massen spaltete sich der ölreiche Landesteil am Samstag endgültig vom Sudan ab. Größter Staat Afrikas ist damit ab sofort Algerien.

Die Sicherheitskräfte versuchten ihr Bestes. Aber gegen die geballte Freude der abertausend Menschen, die gekommen waren, um die Geburt ihres Staates zu feiern, hatten sie keine Chance. Immer wieder drängte die Menge nach vor, jeder wollte selbst einen Blick auf die Paraden und Ehrengäste erhaschen, auf die Delegationen der Volksgruppen in ihren traditionellen Trachten. Die Polizisten und Soldaten probierten es mit gutem Zureden – umsonst. Sie stemmten sich verzweifelt den Massen entgegen – umsonst. Am Ende stieg mit den Außentemperaturen – es hatte gut 40 Grad in der Sonne – auch die Hitze im Inneren, und einige zückten doch ihre Schlagstöcke.

Am Samstag wurde der Südsudan als 194. Staat der Erde unabhängig, und es war ein reichlich chaotischer Start. Punkt zwölf Uhr mittags hätte die neue Flagge aufgezogen werden sollen, doch der Zeitplan war einfach nicht einzuhalten. Schon deshalb, weil viele der ausländischen Ehrengäste, unter ihnen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, aus Mangel an Quartieren und auch aus Sicherheitsgründen in Kenias Hauptstadt Nairobi nächtigten und erst im Lauf des Vormittags mit Privatjets eintrudelten.

Als dann endlich der Lautsprecher Salva Kiir ankündigte, der wenig später zum ersten Präsidenten des neuen Staates vereidigt werden sollte, kannte der Jubel kein Halten mehr. In diesem Mann, der schon als Militärchef der Südsudanesischen Befreiungsarmee SPLA im Bürgerkrieg 1983 bis 2005 die Grundlagen dafür legte, dass am Samstag überhaupt die Abspaltung vom ungeliebten Gesamtstaat gefeiert werden konnte, kulminieren die Zukunftshoffnungen der Südsudanesen.


Trommeln und Vuvuzelas.
Doch die Zeit, die beim Start der Festivitäten verloren wurde, hatten die Menschen in Juba in der Nacht zuvor längst hereingebracht. Seit Freitagabend waren die Straßen fest in den Händen der Feiernden gewesen: Eine Kakofonie aus Autohupen, Trommeln und Vuvuzelas – den ohrenbetäubenden Tröten von der Fußball-WM 2010 in Südafrika – empfing um Punkt Mitternacht den neuen Staat. Bis drei Uhr früh wurde gesungen und getanzt – und unglaubliche Mengen Alkohol getrunken.

Samstagfrüh, als die Straßen noch gesäumt waren mit Alkoholleichen, waren schon wieder tausende unterwegs zu den offiziellen Feiern. Unter ihnen eine etwa 40-jährige Frau, für die der Freudentag einen bitteren Beigeschmack hat: „Ich feiere mit, aber ich trauere auch um meinen Vater, er hat sein Leben gegeben für dieses Land.“ Als Kämpfer im Bürgerkrieg, der rund zwei Millionen Menschenleben forderte. Gekämpft hat auch der Veteran Deng: Er bezahlte seinen Einsatz mit einem Bein, durfte aber in einer Versehrten-Gruppe an der Parade teilnehmen. „Für das, was ich heute erlebe, hätte ich auch noch einen Arm gegeben“, beteuert er.

So frenetisch der Jubel für Kiir ausfiel – als ein anderer Staatschef auf der Tribüne erschien, herrschte Totenstille. Omar al-Bashir, Präsident des seit gestern um ein Drittel des Territoriums und drei Viertel seiner Ölquellen ärmeren Sudan. Omar al-Bashir, der verhasste Gegner im Bürgerkrieg.

Signal an Bashir. Es gab aber auch keine Buhrufe. Bashirs Anwesenheit war für die Südsudanesen wichtig: Er sollte mit eigenen Augen sehen, wie in Juba die sudanesische Flagge eingeholt und die südsudanesische aufgezogen wurde. Er sollte wissen: Es ist vorbei. Als dann tatsächlich die neue Flagge in den Himmel stieg, rannen nicht wenigen Gästen, Frauen wie Männern, Tränen über die Wangen. Dass sie diesen Augenblick erleben würden, dass der Norden sie wirklich ziehen lassen würde – noch vor Monaten hätten viele das nicht gedacht.

Khartum machte gute Miene und erkannte als erster Staat die Unabhängigkeit des Südens an. Gemerkt haben wird sich Bashir allerdings zwei Transparente von Menschen aus den Nuba-Bergen, auf denen stand: „Vergesst uns nicht.“ Die Nuba leben im Norden, fühlen sich aber dem Süden zugehörig, in der Region bahnt sich bereits der nächste Konflikt an (siehe nebenstehender Artikel). Gemerkt wird sich Bashir auch haben, dass eine Abordnung von Rebellen aus der Bürgerkriegsprovinz Darfur bei den Feiern anwesend war.

So wie am Wochenende viele Feiernde mit ihrem Kater zu kämpfen hatten, wird auch der Südsudan bald unsanft aus dem Freudenrausch erwachen. Denn der neue Staat ist einer der unterentwickeltsten der Welt. Nirgends ist die Müttersterblichkeit höher, Bildungs- und Gesundheitssystem stehen quasi am Nullpunkt, und das, obwohl bereits seit sechs Jahren etwa die Hälfte der Öleinnahmen nach Juba floss. Zudem sind die Grenzen des neuen Staates nach wie vor umstritten. Größter Zankapfel ist die besonders ölreiche Region Abyei, die der Norden um keinen Preis hergeben will. Doch all diese Probleme traten am Samstag erst einmal in den Hintergrund, an jenem Tag, als der Südsudan sich als jüngster in die Liste der Staaten einschrieb.

Chronologie

1956
Der Sudan wird mit dem Ende des britisch-ägyptischen Kondominiums ein unabhängiger Staat.

1962
Rebellen im Süden kämpfen gegen die vom Norden forcierte Islamisierung. Ein Friedensabkommen 1972 bleibt folgenlos.

1983
Mit der Gründung der SPLA wächst sich die Rebellion im Süden erneut zum Bürgerkrieg aus. In 22 Jahren werden mehr als zwei Millionen Menschen getötet.

2005
Das „umfassende Friedensabkommen“ beendet den Bürgerkrieg und erlaubt dem Süden die Sezession.

2011
Beim Referendum im Jänner stimmen mehr als 98 Prozent der Südsudanesen für die Unabhängigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Sudan: Christen fürchten Einführung der Scharia

Der Südsudan hat sich in die Unabhängigkeit verabschiedet. Für Christen im Norden könnte sich deshalb die Lage zuspitzen.
Außenpolitik

Südsudan: Das harte Aufschlagen in der Realität

Im seit Samstag jüngsten Staat der Welt mehren sich Zweifel, ob die Zukunft so rosig wird wie erhofft. In den Straßen der Hauptstadt Juba fahren zwar teure Geländewagen, die Menschen leben allerdings in Armut.
Kommentare

Kosovosyndrom im Südsudan

Die Abspaltung vom verhassten Norden war der leichtere Teil der Übung.
Außenpolitik

Sudan: Freudenschüsse strengstens verboten

Am Samstag ist es so weit: Der ölreiche Süden wird unabhängig. In der neuen Hauptstadt Juba werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Viele Südsudanesen kommen heim, um den historischen Tag mitzufeiern.
Außenpolitik

Sudans nächster Konfliktherd

Die Nuba-Region gehört zwar zu Nordsudan, viele Menschen dort fühlen sich aber als "Südler". Es gibt bereits heftige Kämpfe.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.