Trotz weltweiter Warnungen sind die Verhandlungen über eine Anhebung der Schuldengrenze im Weißen Haus weiterhin festgefahren. Präsident Obama zeigt sich angesichts der Fundamentalopposition entnervt.
Washington. Schlittern die USA in eine Finanzkrise, deren Turbulenzen die Weltwirtschaft aus den Angeln heben könnte? An der Wall Street zeigt der Dollar bereits erste Einbruchstendenzen, reihum melden sich Stimmen, die ein Fiasko prophezeien – von US-Notenbank-Chef Ben Bernanke über IWF-Chefin Christine Lagarde und eine Reihe von Wall-Street-Managern bis hin zu China, dem größten Kreditgeber der US-Regierung.
In einem Senatshearing warnten führende Ökonomen vor weitreichenden Konsequenzen, sollte der Kongress das Schuldenlimit nicht bis Anfang August anheben und das Land vor dem Staatsbankrott bewahren. Der Rest der Welt würde dies als Zeichen eines bankrotten Systems werten, analysierte Harvard-Professor Mihir Desai. Für diesen Fall unterstrichen Ratingagenturen wie Moody's ihre Drohungen, die Triple-A-Bonität Washingtons herabzustufen.
Niemand kann vorhersagen, was am Mittwoch, den 3.August passieren werde. Sicher ist, dass die Zinsen steigen würden und dass die USA nur einen Teil der Pensionen und Gehälter auszahlen könnten. Republikanische Präsidentschaftskandidaten und Abgeordnete schlugen die Warnungen indes in den Wind. Parlamentarier Austin Scott zeigte sich unbeeindruckt: „Die Sonne wird auch nach dem 3. August aufgehen.“
Bis dato eine Routineübung
Bisher war es mehr oder weniger eine Formsache, eine parlamentarische Routineübung wie die Abstimmung über ein Sonderbudget des Pentagon in Kriegszeiten. Im Lauf der Geschichte hat der Kongress 89-mal einer Anhebung des Schuldenlimits zugestimmt, allein zehn Mal in der Ära George W. Bushs. Unter seiner Ägide hat sich der Schuldenstand der USA verdoppelt, doch hat sich daran kein erbitterter Parteienstreit entzündet, der die Nation auf die Ebene Griechenlands gebracht hätte.
Einmal votierte auch ein Senator namens Barack Obama, damals eher als Einzelgänger, gegen eine solche Erhöhung. Als Präsident ist er indessen mit einer breiten Ablehnungsfront konfrontiert, und seine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. „Genug ist genug“, erklärte er jüngst erbost nach einer Sitzungsrunde im Weißen Haus.
„Kein anderer Präsident, inklusive Ronald Reagan, würde noch hier sitzen.“ Die Republikaner verbreiteten die Version, Obama sei aus dem Saal gestürmt. In verbalen Scharmützeln war der Präsident mit dem republikanischen Unterhändler Eric Cantor aneinandergeraten, dem Demokraten Respektlosigkeit und infantiles Verhalten vorwerfen. Währenddessen konterte John Boehner, der Verhandlungsführer der Opposition, die Regierung setze auf „Gags und Bilanztricks“.
Steuern als „heilige Kuh“
Die Verhandlungen sind völlig festgefahren, bis zum Ablauf des Ultimatums am 2.August scheint keine Einigung in Sicht. Obama propagiert einen „großen Deal“, der im Gegenzug für eine Anhebung der Schuldengrenze Einsparungen von vier Billionen Dollar im Lauf der nächsten Dekade vorsieht. Der Plan beinhaltet Einschnitte im Verteidigungsetat und bei den Sozialprogrammen, die den Löwenanteil der Staatsausgaben ausmachen. Aufs Tapet gebracht ist u.a. eine Erhöhung des Pensionsalters von 65 auf 67 Jahre. Als Ausgleich für die Sparmaßnahmen, die nach Meinung der Demokraten auf dem Rücken der „kleinen Leute“ ausgetragen würden, schlägt der Präsident eine Steuererhöhung für „Millionäre und Milliardäre“ vor, für Einkommensbezieher von mehr als 250.000 Dollar. Doch die Republikaner betrachten jede Steuererhöhung als „heilige Kuh“. Sie propagieren eine „kleine Lösung“. Gegen einen Kompromiss, der ihn als Sündenbock vorführen würde, ziert sich Obama – und er stößt auch bei vielen Republikanern auf Ablehnung. Taktiker der Grand Old Party fürchten, dass Obama am Ende von der Fundamentalopposition profitieren könnte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2011)