Die Ermittlungen gegen den untergetauchten Ex-Botschafter Kasachstans wegen Entführung und zweifachen Mordes wurden ausgeweitet: Im Visier der Anklage stehen auch zwei mögliche Mittäter.
Wien. Während sich die Krise rund um die rasche Freilassung des von Litauen gesuchten russischen KGB-Offiziers Michail Golowatow zuspitzt, gibt es auch in einem anderen internationalen Fall eine brisante Entwicklung: Das in Wien geführte Mordverfahren gegen den Ex-Botschafter Kasachstans in Österreich, Rachat Alijew, wurde ausgeweitet. Nun wird auch gegen zwei mutmaßliche Komplizen des untergetauchten Diplomaten ermittelt. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien bestätigte dies am Mittwoch der „Presse“.
Den Kern der Vorwürfe bildet die Verschleppung zweier Manager der kasachischen Nurbank, die von Alijew kontrolliert wurde: Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov wurden im Februar 2007 entführt. Ihre Leichen wurden Mitte Mai dieses Jahres in der kasachischen Metropole Almaty von den Behörden entdeckt.
Gefoltert, in Fässern vergraben
Sie waren auf einem Areal, auf dem Müll vergraben wird, in vier Metern Tiefe, in Öltonnen gefunden worden. Sie wiesen Folterspuren auf und waren in gelöschten Kalk eingelegt, wodurch die Identifizierung bewusst erschwert wurde. Der Fundort grenzt an eine Autowerkstätte, die von ehemaligen Alijew-Gefolgsleuten geführt wurde. Wegen der Entführung (Motiv: mutmaßliche bankinterne Malversationen) wurde Alijew in seiner Heimat – in Abwesenheit – bereits verurteilt. Er erhielt 20 Jahre Haft.
Insgesamt wurden bei diesem kasachischen Verfahren zwei Dutzend Verdächtige verurteilt. So auch – ebenfalls in Abwesenheit – die beiden Männer, gegen die nun ebenfalls in Wien wegen Beteiligung an der Ermordung der beiden Manager ermittelt wird. Es handelt sich um den früheren kasachischen Geheimdienstchef M. (er erhielt in Kasachstan bereits 15 Jahre Gefängnis) und den von Medien als „Folterknecht“ bezeichneten K. (18 Jahre Haft). Für beide gilt die Unschuldsvermutung.
Zurück Alijew: Dieser hatte nachdem er als Botschafter abberufen worden war, in Österreich Zuflucht gesucht und einen befristeten Aufenthaltstitel erhalten. In seiner Heimat zählte er einst zu den einflussreichsten Persönlichkeiten: Er war der Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, ferner galt der gelernte Chirurg und stellvertretende Leiter des kasachischen Geheimdienstes als Zuckerbaron und war eben, wie erwähnt, im Bank- und Finanzwesen tätig.
Derzeit wird Alijew auf Malta vermutet. Sein prominenter Wiener Anwalt Manfred Ainedter dazu: „Ich weiß, wo sich Alijew aufhält, kann dies aber nicht sagen.“ Kasachstan hatte an die österreichischen Behörden bereits zwei Auslieferungsbegehren gestellt. Beide waren abgewiesen worden, mit Hinweis auf den „politischen Charakter der gegenständlichen Sache“. Im Klartext: Wien befürchtet Menschenrechtsverletzungen, sollte Alijew in seine Heimat zurück geschickt werden.
Alijew will nach Wien kommen
Der für den Fall zuständige Staatsanwalt macht auch kein Hehl daraus, wie er die Lage in Kasachstan sieht, er schrieb an das für die Auslieferung zuständige Straflandesgericht Wien: „Entgegen den Behauptungen der kasachischen Seite ergibt sich aus Berichten internationaler Beobachter, dass die kasachischen Gerichte nicht unabhängig, sondern unter dem Einfluss des Staatspräsidenten stehen.“ Wie distanziert Österreich den Fall bearbeitet – erst am Dienstag wurde Justizministerin Beatrix Karl von EU-Justizkommissarin Viviane Reding zur „nahtlosen Zusammenarbeit“ im Fall Alijew ermahnt – zeigen auch Aufzeichnungen des Anwaltes Gabriel Lansky. Er vertritt die Witwen der getöteten Bankmanager. Demnach sei laut Aktenvermerken des Innenministeriums und des Bundesasylamtes die Hoffnung geäußert worden, dass jene Kasachen, die zuletzt in den Auslieferungsbegehren erfasst waren, also Alijew und Co., das Land möglichst für immer verlassen. Dann nämlich könnte man die laufenden Asylverfahren einfach abbrechen.
Indessen sorgt nun Alijew-Anwalt Ainedter für eine Überraschung: Am Mittwoch kündigte er der „Presse“ an, dass sein Mandant bereit sei, sich einer Einvernahme durch den Staatsanwalt zu stellen. „Mein Mandant wird aktiv am Verfahren teilnehmen.“ Wesentliche Einschränkung: „Wenn seine Sicherheit gewährleistet ist.“
Auf die „Presse“-Frage, ob Alijew nicht fürchten müsse, wegen Mordverdachts in U-Haft zu wandern, heißt es: „Derzeit gibt es weder einen europäischen noch einen inländischen Haftbefehl.“ Die Vorwürfe gegen Alijew seien falsch. Bleibt abzuwarten, wann sich der Ex-Botschafter tatsächlich wieder einmal in Wien blicken lässt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21. Juli 2011)