Ukraine: Opposition träumt von Revolution

Ukraine Opposition traeumt Revolution
Ukraine Opposition traeumt Revolution(c) REUTERS (GLEB GARANICH)
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Nach der Festnahme von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko verbietet ein Gericht Proteste. Dutzende von Regierungen, darunter Deutschland und die USA, mahnten die Einhaltung der Menschenrechte an.

Danzig/Kiew. „Freiheit für die politischen Gefangenen“, steht auf einem Transparent in der Kiewer Einkaufsmeile Kreschtschatik. Etwa hundert Anhänger von Julia Timoschenko hatten dort am Wochenende 20 Zelte aufgestellt. Sie reagierten damit auf die Festnahme der ukrainischen Oppositionsführerin am Freitagabend.

Am Samstag stellte Timoschenkos „Vaterlands“-Partei laut der ukrainischen Internetzeitung „Ukrainskaja Prawda“ zehn Plastikzelte dazu und verteilte Mineralwasser und Saft an die Passanten. Geht es nach den Wünschen der Partei, dann soll die Zahl der Protestierenden schnell anwachsen und die heutige pro-russische Regierung noch im September verjagen – eine verwegener Wunsch.

Bis Sonntagmittag hatten sich nur knapp 200 Timoschenko-Anhänger in der Nähe des Zeltlagers eingefunden. Ein leiser Hauch von „Oranger Revolution“ wehte dennoch durch Kiew. Zumal die „Blauen“, Anhänger des pro-russischen Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch, in unmittelbarer Nähe mit ihren blauen Fahnen aufmarschierten. In der Nacht zum Sonntag untersagte ein Gericht in Kiew sämtliche Proteste im Zentrum der Hauptstadt bis Ende August. Um die Mittagszeit umstellten Sicherheitskräfte das Zeltlager der Opposition, allerdings ohne einzuschreiten. Die Timoschenko-Partei rechnet nach eigenen Angaben mit einer Räumung in der Nacht zum Montag.

Klitschko unterbrach Boxtraining

Genauso hatte im November 2004 die „Orange Revolution“ begonnen. Allerdings wuchs die Zahl der Demonstranten rund um ein Zeltlager auf dem Kreschtschatik schnell an, bald fanden sich Hunderttausende auf dem nahen „Platz der Unabhängigkeit“ wieder.

Indes haben sich ein paar weitere Oppositionsparteien auf die Seite der Timoschenko-Anhänger gestellt, darunter der Block von Vitali Klitschko, der am Sonntag sein Boxkampf-Trainingslager kurzerhand absagte. Doch die Ukrainer sind nach den chaotischen „orangen“ Regierungsjahren von 2005 bis 2010 weitgehend desillusioniert.

Timoschenko, die sich seit Ende Juni vor Gericht wegen angeblichem Amtsmissbrauch verantworten muss, war am Freitagmittag von einem Riesenaufgebot an Sicherheitskräften ins Untersuchungsgefängnis überführt worden. Der Richter begründete die Anordnung mit „systematischen Verstößen“ gegen die Prozessordnung. Die einstige Frontfrau der „orangen Revolution“ und zweimalige Premierministerin hatte sich sechs Wochen lang standhaft geweigert, den Richter mit einer Ehrenformel anzusprechen und ihn stattdessen als Hampelmann Janukowitschs beschimpft.

In der Tat klingen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft reichlich konstruiert. Zur Last gelegt wird Timoschenko vor allem der Gasliefervertrag mit Russland von 2009. Bei den Verhandlungen soll sie ihre Kompetenzen überschritten und der Ukraine einen Schaden von 150 Mio. Euro zugefügt haben. Dafür drohen ihr zehn Jahre Gefängnis. Selbst bei einer Strafe auf Bewährung kann Timoschenko weder für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr noch die Präsidentschaftswahlen 2015 kandidieren. Janukowitsch wäre damit seine wichtigste Konkurrentin los.

Mit der Festnahme Timoschenkos scheint der neue starke Mann der Ukraine allerdings das Band überzogen zu haben. Dutzende von Regierungen, darunter Deutschland und die USA, protestierten am Wochenende gegen die Festnahme und mahnten die Einhaltung der Menschenrechte in der Ukraine an.

Premier verteidigt Festnahme

„Niemand soll den ukrainischen Gerichten den Respekt versagen“, gab sich Timoschenkos Nachfolger, Regierungschef Mykola Asarow, uneinsichtig. „Unsere Taten schaffen eine starke Grundlage für die ukrainische EU-Zukunft“. Anders sieht dies die EU, mit der Kiew gerade ein Freihandels- und Assoziationsabkommen aushandelt. EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton forderte die Ukraine dazu auf, die „gemeinsamen Werte“ hoch zu halten.

Auf einen Blick

Über Julia Timoschenko, ukrainische Ex-Regierungschefin, wurde am Freitagnachmittag die U-Haft verhängt. Timoschenko steht derzeit in Kiew vor Gericht.

Am Wochenende schlugen ihre Anhänger im Zentrum Kiews aus Protest ein Zeltlager auf. Ein Gericht hat indes Demonstrationen bis Ende August verboten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2011)

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